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Klassik: Peter der Große

Glücksmomente: Ein Tschaikowsky-Abend mit Christoph Eschenbach und dem Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie.

Ein ganzer Abend nur mit Werken von Peter Tschaikowsky – das muss man sich in Berlin erst einmal trauen! Bei den Programmmachern der großen Orchester hat der russische Romantiker einen schlechten Ruf: zu viel Gefühl, zu wenig Form. Ein Programm mit unbekannten Tschaikowsky-Zeitgenossen, ja, das ginge problemlos. Oder eine der beiden bedeutenden Sinfonien, gemixt mit Zeitgenössischem. Aber so? Zwei hochdramatische Tondichtungen und dazu zwei höllisch schwere Solistenkonzerte? Hört sich das dann nicht an wie eskapistisches Kurkonzert?

Gemeinsam mit Christoph Eschenbach tritt das Deutsche Symphonie-Orchester am Sonntag in der Philharmonie den Beweis an, dass Tschaikowskys Musik genug Substanz besitzt, um einen monothematischen Abend zu tragen. Wenn sie nicht pauschal sentimental dargeboten wird, sondern mit größtmöglicher Detailgenauigkeit. In der eröffnenden „Romeo und Julia“-Fantasieouvertüre gelingt es Eschenbach sofort, eine packende, dichte Erzählatmosphäre zu schaffen. So innig, als wäre sie Fräulein Capulet herself, singt Kornelia Brandkamp ihr Flötensolo; überhaupt scheint hier jeder der Musiker ganz persönlich involviert. So entsteht Glaubwürdigkeit – und eine kollektive innere Spannung, die sich schließlich in elektrisierender Leidenschaft entlädt.

Dann kommt Tzimon Barto, dieser Hüne aus den amerikanischen Südstaaten, gegen den selbst der Steinway-Flügel schmächtig wirkt. Mit seinen Riesenpranken spielt der Pianist Tschaikowskys 1. Klavierkonzert so zart, so privat, wie man dieses Schlachtross unter den Virtuosenstücken kaum je gehört hat. Unendlich viel Zeit lässt sich Barto in den lyrischen Passagen, zelebriert die harmonische Auflösung jedes einzelnen Dominantseptakkords in der Kadenz des 1. Satzes, horcht immer wieder einzelnen Tönen nach, dimmt die Dynamik bis an die Grenze zur Unhörbarkeit. Und wirkt dabei keinen Moment maniriert.

Hier stülpt einer das Innerste seiner Seele nach außen – und hat mit Christoph Eschenbach einen vom Piano herkommenden Dirigenten an der Seite, der um jede heikle Stelle dieser Partitur weiß, auf jede Nuance in der Tempogestaltung mit väterlichem Feingefühl reagieren kann. Weil Eschenbach im Klavierkonzert zudem genauso viel Wert auf minutiöse Detailarbeit legt wie in den sinfonischen Werken, kann das Orchester vom Begleiter zum Partner des Solisten werden, können Stimmen wirklich miteinander kommunizieren, Stimmungen aus einem Geist entstehen.

Tzimon Bartos Antipode ist Dimitri Maslennikov, der Cellist in den „Variationen über ein Rokoko-Thema“: Da betritt ein primo ballerino die Szene, ein Solotänzer, der das ganze Scheinwerferlicht für sich beansprucht, alle anderen zur Staffage degradiert. Mit geschlossenen Augen lässt er seinen süßen, verführerischen Ton erblühen, flirtet mit dem Saal, geht – berauscht von der eigenen Virtuosität – bewusst Risiken ein, in den rasanten Läufen wie im flirrenden Flageolett.

Zum fulminanten Finale folgt jetzt noch „Francesca da Rimini“. Ein düsterer Brocken, wahrlich nicht Tschaikowsky stärkstes Stück, das der Dirigent jedoch wiederum souverän unter einen Spannungsbogen zwingt. Während Eschenbach den analytischen Überblick behält, pumpt er gleichzeitig unablässig Energie ins Orchester, so dass diese Visionen aus Dantes Inferno alles Hollywoodhafte verlieren, zur Oper ohne Worte werden, zum bewegenden Musiktheater.

Mittlerweile geht es auf 22.30 Uhr zu, das DSO schiebt Überstunden – und spielt trotzdem immer noch mit unbedingter Hingabe, kann an diesem beglückenden Abend sein Niveau tatsächlich bis zum allerletzten Takt halten. Bolschoi spasiba, vielen Dank dafür!

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