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Yuja Wang

© imago/Rudolf Gigler

Klassik und Dresscode: Haydn in High Heels

Wenn Yuja Wang auftritt, postet die Netzgemeinde - wegen ihrer hautengen Kleider. Darf die das? Aber ja! Kleiner Knigge für Klassikstars.

Neulich hat sie es wieder getan, ist mit High Heels und hochgeschlitztem Kleid aufgetreten – die Netzgemeinde postete. Yuja Wang spielt nicht nur exzellent Klavier, sie sieht auch gut aus, kein Grund zur Aufregung. Mit den Augen hört man besser, warum sonst geht der Mensch ins Konzert? Musik, dieser heftigste aller kollektiven Sinnesreize, seit unsere Vorfahren aus Knochen eine Flöte bastelten, zielt genau darauf: auf Herz und Haut und Knochen. Schließlich ist jeder Solist, jede Solistin, die im großen Saal alle Blicke auf sich lenkt, so frei, in aller Öffentlichkeit intim zu werden, mit unverschämt persönlichen Tönen.

Beim Pop gehört die Hysterie dazu. Die Klassik gilt hingegen als züchtig, als erregte sie die Gemüter auch nur eine Spur weniger. Vor der Musik sind wir nackt und bloß, man zeigt’s halt nur nicht so offen. Womit wir bei der Kleiderordnung wären. Karajan im Rolli, die Callas mit Pelz und Perlen, Sir Roger Norrington auf Strümpfen, so halten’s die Alten. Die Jüngeren machen keinen Hehl daraus, dass Musizieren Körperarbeit ist. Anne-Sophie Mutter spielt nicht schulterfrei Geige, weil sie sexy rüberkommen will, sondern wegen des Hautkontakts. Geigenrücken auf Schlüsselbein, mittendrin sein im Klang: Man spielt auch nicht Klavier mit Handschuhen, sagt sie. Und die Violinstars Hilary Hahn und Patricia Kopatchinskaja treten barfuß auf. Sie brauchen die Erdung.

Manche nehmen’s praktisch, es ist ja ein Kraftakt: Barenboim probt in Gesundheitssandalen, Boulez hasste den Frack, Hélène Grimaud bevorzugt fließende Stoffe, damit nichts ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Pianist mit Krawatte? Geigerin mit offenem langem Haar, das sich im Bogen verfängt? Geht gar nicht.

Pose und Poesie, wer kann das schon messerscharf trennen in Zeiten des überhitzten Musikmarkts? Gutes Spiel verlangt Stil: Lang Lang oder Jean-Yves Thibaudet lassen sich von Designern wie Versace, Thierry Mugler und Vivienne Westwood einkleiden, der eine spielt in Pantoffeln (der Jazzpianist Gonzales), der andere im Glitzeranzug (der Orgel-Revoluzzer Cameron Carpenter), und manche mögen’s heiß. Quatsch, wer schwitzt, dem verrutscht die Intonation, auch deshalb haben rückenfreie Roben wie die von Yuja Wang oder Khatia Buniatisvhili am Klavier nicht nur modische Gründe. Wir sind Musiker, keine Models, sagt Anne-Sophie Mutter, die wie Buniatisvhili im Mai wieder in Berlin gastiert.

Und das Publikum? Je teurer das Ticket, desto edler das Outfit, rät ein Klassik-Knigge im Netz. Wie billig ist das denn.

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