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Eines der Werke aus der Auktion.

© Pandolfini

Klassiker der Moderne für wenig Geld?: Warum ein Auktionshaus Miró und Kandinsky vorsichtig taxiert

Das Florentiner Haus Pandolfini versteigert „Wiedergefundene Schätze“ - zu erschwinglichen Preisen. Der Grund: Sie stammen aus der Sammlung eines Betrügers.

Etwas kann mit diesen Preisen nicht stimmen. Ein signiertes, wenn auch kleines Pastellbild von Joan Miró schätzt das italienische Auktionshaus Pandolfini auf 30 000 Euro.

Eine um 1880 entstandene Kreideskizze von Edgar Degas ist auf 10 000 Euro taxiert, Modiglianis Bleistiftzeichnung geht mit nur 20 000 Euro ins Rennen, wenn die Bilder Ende Oktober in Mailand unter den Hammer kommen.

Zwei Bauersfrauen in den typischen leuchtenden Pastelltönen von Camille Pissarro sollen dann nur 50 000 Euro, ein ausdrucksstarker Frauenkopf im Profil von Henri Toulouse-Lautrec von etwa 1899 mindestens 80 000 Euro kosten.

Selbst ein abstraktes Aquarell von 1931 aus Kandinskys Hand, eine etwas kitischige Chagall-Gouache und eine pointillistische Landschaft von Paul Signac sind mit jeweils 120 000 Euro äußerst moderat taxiert.

„Wiedergefundene Schätze“ hat das Unternehmen die Versteigerung betitelt, zu der ein schwerer Katalog erschienen ist. So etwas weckt meist Verdacht. Verschollene Werke, die mit viel zu niedrigen Preisen aufgerufen werden, da muss etwas mit den Bildern sein: schlechter Zustand, fragwürdige Herkunft, Zweifel an der Echtheit?

Die Kunst war nicht wirklich verschollen

Nichts davon trifft in diesem Fall zu – jedenfalls auf jene 55 von insgesamt 178 Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen der klassischen Moderne, die es in den Katalog geschafft haben. Ihre Echtheit wurde von den maßgeblichen Experten wie dem Comité Chagall bestätigt.

Viele sind in den jeweiligen Werkverzeichnissen verzeichnet und wurden zudem in den vergangenen Jahrzehnten bei Auktionshäusern wie Sotheby’s und Christie’s erworben. Die übrigen Werke werden online angeboten und sind nicht auf der Website von Pandolfini, sondern auf der des staatlichen Instituts für Gerichtsverkäufe zu finden. Und das aus gutem Grund.

All diese Kunst war eigentlich auch weder verschollen noch handelt sich um Wiedergefundenes, wie verkaufsfördernd so schön behauptet wird. Im Dezember 2009 waren einige der wichtigsten Bilder sogar in den Hauptnachrichten des italienischen Fernsehens zu sehen.

Auch Medien anderer europäischer Länder berichteten damals darüber, wie Carabinieri in grauen Uniformen und Schirmmützen die Werke behutsam in einen Saal der Finanzverwaltung trugen. Bei einigen sah man, dass es sich um Reproduktionen handelte. Bei anderen wurden der versammelten Presse tatsächlich die Originale vorgeführt.

Es handelt sich um den Besitz eines italienischen Großindustriellen

Bei der Sammlung handelt es sich um den ehemaligen Besitz des italienischen Großindustriellen Calisto Tanzi. Der heute 80-Jährige war vor allem mit dem 1961 gegründeten Lebensmittelkonzern Parmalat zum Milliardär geworden.

Als das Unternehmen 2003 in die Insolvenz ging, blieben 14 Milliarden Schulden und 32 000 geschädigte Investoren und Kleinanleger zurück. Tanzi wurde wegen Börsenmanipulation und Korruption zunächst zu zehn Jahren und in einem zweiten Prozess wegen Insolvenzbetrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung 2010 noch einmal zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Zwischen beiden Verfahren hatte sein Schwiegersohn die Steuerfahndung in drei Wohnungskeller in Parma geführt, in denen Tanzi sein Privatvermögen auch in Form von Kunstwerken zu verstecken versucht hatte.

Gesamtwert der Sammlung wurde auf 100 Millionen Dollar geschätzt

Damals schätzen Medien den Gesamtwert der Sammlung auf rund 100 Millionen Dollar – wohl vor allem wegen teurer Namen wie Van Gogh, Gauguin, Cézanne, Manet, Degas, Signac, Monet oder Modigliani. Tatsächlich handelt es sich aber bei den meisten Bildern weder um Hauptwerke noch um großformatige und damit automatisch teure Arbeiten.

Entsprechend behutsam haben die italienischen Finanzbehörden die Schätzpreise festgelegt, selbst bei wertvollen Bildern. So wird Claude Monets signierte Ansicht von Varengeville, vom Maler selbst auf 1882 datiert, mit 800 000 Euro aufgerufen: Ein Preis, der angesichts jüngster Zuschläge für Impressionisten deutlich übertroffen werden dürfte.

Und auch um ein frühes Stillleben mit Hyazinthen und Äpfeln von Paul Gauguin, das mit 150 000 Euro beginnt, um Vincent van Goghs Frühwerk „Stillleben mit Apfelkorb“ von 1885 (Taxe: 280 000 Euro) und seine erstaunlich große Wasserfarbdarstellung einer Kopfweide (Taxe: 200 000 Euro) wird es Bietergefechte geben.

Ließ sich der Betrüger beim Kunstkauf selbst betrügen?

Ob das auch für den zweiten Teil der Auktion gilt, der nur online stattfindet, ist dagegen fraglich. Hier erweist sich nämlich, dass der verurteilte Betrüger Calisto Tanzi sich gelegentlich auch selbst übers Ohr hauen ließ.

Verschiedene dort angebotene Werke tragen den Hinweis „Werk ist nicht authentisch“, es handelt sich um angebliche Gemälde von Giovanni Boldini und Giovanni Fattori oder gefälschte Bronzen nach Giorgio de Chirico und Alberto Giacometti.

Dessen „Weibliche Figur“, für die Tanzi deutlich mehr bezahlt haben dürfte, ist nun schon für 800 Euro zu haben – zugunsten der italienischen Staatskasse und der Finanzopfer von Parmalat.

Stefan Koldehoff

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