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Legale Schlemmerei. Süße Schnitte mit Oblate des Meisters.

© Peter Schiering und "Salon Neucologne e.V.", Berlin

Kultur: Klassisch, köstlich, kokett

Oskar Schlemmer: nach 70 Jahren endlich frei!

Sie schmeckt schokoladig, ist aus allerfeinstem Biskuit gemacht und mit einer herrlichen Marmeladenschicht versehen. Das Beste an der Schlemmer-Schnitte aber ist ihr Dekor, eine bedruckte Zuckerdecke, auf der Motive des Bauhaus-Künstlers zu sehen sind: Figurinen aus dem Triadischen Ballett, seine Gemälde „Bauhaustreppe“ und „Tänzerin“. Mit ein, zwei, drei Bissen ist das köstliche Törtchen verzehrt, fast sündenfrei. Das Bauhaus Dessau serviert diese kleine Frechheit in Berlin. Für die Erfinder der Schlemmerei muss es eine Genugtuung gewesen sein, denn zwei Wochen zuvor hätten ihnen die Erben von Oskar Schlemmer noch die Polizei in die Backstube schicken können.

Mit dem 1. Januar, 70 Jahre nach dem Tod Oskar Schlemmers (1888 – 1943), laufen die Urheberrechte aus, eine neue Zeit bricht an. Das Bilderverbot ist vorbei. Wie bei keinem anderen Künstler der Klassischen Moderne haben dessen Erben der Forschung, den Museen und Sammlern das Leben schwergemacht. Dabei soll es auch um Erträge aus dem Nachlass gegangen sein. Die Folge: Seit Jahrzehnten gab es keine Aufführung seines Hauptwerks mehr, des Triadischen Balletts. 1977 war die letzte große Retrospektive zu sehen, Kataloge erschienen mit leeren Seiten. Eigentümer von Schlemmer-Bildern wurden vor den Kadi gezerrt, weil sie ihr Werk angeblich nicht rechtmäßig besaßen.

Die kühnste Attacke erlaubten sich Tochter Jaina und Enkel Raman mit dem Versuch, Schlemmers bekanntestes Bild, „Die Bauhaustreppe“, konfiszieren zu lassen, als es 2000 als Leihgabe des Museums of Modern Art in der Neuen Nationalgalerie hing. Glücklicherweise befand es sich da schon wieder auf dem Weg von Berlin zurück nach New York. Dieser erste Verkauf eines Gemäldes 1933 an ein ausländisches Museum, zugleich der letzte Museumsverkauf zu Lebzeiten des Künstlers, stellte für Schlemmer eine wichtige Anerkennung in schweren Zeiten dar. Der Ankauf durch den Architekten Philipp Johnson gehört zweifelsfrei dem MoMA, das Bild ist längst eine Ikone des Hauses. Wer sich in den letzten Jahrzehnten mit Schlemmer befasste, wer über ihn schrieb, seine Werke zeigte, erwarb oder in Auktionen anbot, konnte sich seiner Sache nie sicher sein.

Das Interesse an diesem bedeutenden Bauhaus-Protagonisten versiegte zwar nie, aber die Forschung ebbte ab, die angemessene Wahrnehmung seines Schaffens blieb aus. Das wird nun mit einem Schlag anders werden. Das Bayerische Staatsballett führt in München im Juni das Triadische Ballett auf, die Staatsgalerie Stuttgart plant im Herbst die Retrospektive „Visionen einer neuen Welt“. Dessau hat sich mutig schon im Dezember daran gewagt, die Bühnenexperimente des Bauhauses in einer Ausstellung zu präsentieren (bis 21. 4.) und bekam prompt noch Ärger mit den Erben. Enkel Raman, der in Indien lebt, soll wie ein Racheengel bei einer Vorstellung eingetroffen sein und versucht nun, eine Einstweilige Verfügung zu erwirken.

Pünktlich zu Jahresbeginn aber ist das Magazin zur Ausstellung erschienen – mit vielen Schlemmer-Bildern und Texten zu seinem Werk. Anlässlich der Berliner Buchpräsentation im Salon „Neucologne“ wurden nicht nur Tänze mit rekonstruierten Kostümen des Triadischen Balletts vorgeführt, sondern auch jene Schlemmer-Schnitten serviert, die das bis zum 31. Dezember geltende Bilder-Verbot genussvoll brechen. Manch einer begann schon, für das Erbe des Bauhaus-Künstlers Arges zu fürchten, sah etwa seine Figurinen werbewirksam auf Tassen und T-Shirts gedruckt. Die Schlemmer-Schnitte aber soll – einmal verspeist – als Merchandisingprodukt verschwinden. Nur die Kunst bleibt.

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