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Begegnung mit Krapp. Klaus Maria Brandauer im Gespräch in Berlin.

© Mike Wolff

Klaus Maria Brandauer: „Wenn ich liebe oder töte, ist es ernst gemeint“

In Schloss Neuhardenberg spielt Klaus Maria Brandauer erstmals ein Stück von Samuel Beckett: "Das letzte Band". Ein Gespräch über Weltruhm, Abgründe und magische Momente.

Herr Brandauer, zum Anfang zwei Fragen, die Sie bitte nur mit Ja oder Nein beantworten. Gibt es für Sie eine Wahrheit im Spiel?

Klaus Maria Brandauer: (Kurze Pause) Ja.

Gibt es auch eine Lüge im Spiel?

Ja.

Wie unterscheiden sich beide für Sie?

Die Wahrheit liegt erst mal nur im Augenblick. Im Intuitiven. Dabei ist der Schauspieler auf der Bühne ja nie allein. Es gibt Mitspieler, und selbst bei einem Monolog gibt es noch den Stücktext, und da sitzen die Zuschauer, in deren Köpfen das Ganze mit entsteht. Wahrheit entsteht, wenn ich im Spiel einen Gedanken des Textes und das Empfinden der Zuschauer zugleich treffe. Das ist der magische Moment. Wenn es uns alle angeht, dann entsteht etwas schwer Beschreibbares, man könnte sagen: Ein Engel geht durchs Zimmer!

Und wenn Sie auf der Bühne lügen?

Lüge oder ein falscher Schein wäre, wenn man sich nur auf seinen Fertigkeiten ausruht und mit Technik, Talent oder einem gewissen Wirkungsbewusstsein jenes schwer Beschreibbare herbeizuspielen versucht. Was man, so ehrlich muss man schon sein, gelegentlich auch tut.

Passiert das, wenn ein virtuoser Schauspieler seinen inneren Schweinehund, also die Rampensau von der Leine lässt?

Ich habe nichts gegen die Rampensau, man muss schon vorkommen wollen! Ein Schauspieler, der behauptet, dass er nicht wirken und sein Publikum verführen will, dem glaub ich kein Wort.

Und wann lügt der Verführer?

Wenn er etwas vorgibt, was er selber gar nicht meint. Wenn er nur so tut als ob.

Das Als-ob gehört doch immer zum Spiel.

Natürlich spielen wir nur eine Rolle, aber ich muss in ihr auch ernstlich anwesend sein. Und wenn ich jemand hasse oder liebe oder töte, dann muss es während des Spiels ernst gemeint sein, auch wenn Polonius, den ich als Hamlet erstochen habe, beim Beifall hernach wiederaufersteht.

Das Spiel nicht als Spielerei, sondern existenziell: Wird der Beruf des Schauspielers dann auch gefährlich? Es gibt ja berühmte Kollegen von Ihnen, die sich umgebracht haben. Manche mit Alkohol und Drogen.

Die gibt es. Wie in anderen Berufen. Ich möchte das mit dem „Existenziellen“ lieber nicht zu pathetisch sehen. In jedem Beruf braucht es, um gut zu sein, Begabung und Handwerk, dazu bei Schauspielern auch das gewisse Etwas: persönliche Präsenz, Aura, Charisma, wie Sie wollen. Doch selbst wenn ich mit allem Einsatz spiele, dann gerate ich nicht außer mir.

"Ich wollte Beckett in Neuhardenberg herausbringen"

Sie sind kein Maniac wie Klaus Kinski.

Gewiss nicht. Ich verliere bei aller Leidenschaft nicht die Kontrolle über mich. Das wäre nicht meine Art Theater, da wird’s zu schnell beliebig. Das Vergnügen an der Sache ist allerdings, dass ich mich selbst und dass mich meine Kollegen trotzdem immer aufs Neue überraschen können. Keine Probe und keine Aufführung ist wie die andere.

Sie haben schon als Kind gerne gespielt –

Na ja, den Struwwelpeter …

Hatten Ihre Eltern oder Ihre Lehrer früh ihr komödiantisches Talent erkannt?

Dieses sogenannte Talent glauben doch viele Eltern oder wohlmeinende Lehrer bei Schüleraufführungen zu erkennen. Und dann werden die Betroffenen später hochinteressante Zeitgenossen. Nur keine Schauspieler, was ja vollkommen in Ordnung ist. Nein, bei mir in der Familie war nie einer Künstler oder Schauspieler, mein Vater war Zollbeamter. Aber als meine Familie von Altaussee –

Ihre Heimat im steirischen Salzkammergut, wohin schon Hofmannsthal und Arthur Schnitzler als Sommerfrischler kamen und wo Sie, außer in Wien und manchmal in Berlin, auch heute noch wohnen: in Nachbarschaft zu den Kollegen Elisabeth Trissenaar und Hans Neuenfels …

Die sind Zugezogene. Also, von Altaussee, wo man in die Salinen ging oder Förster, Gastwirt oder Arzt wurde, zogen wir 1949 nach Deutschland ins schwarzwäldische Oberkirch. Dort hatte ich als Schüler drei Abonnements. Drei. Am Schauspiel Baden-Baden, am Staatstheater in Karlsruhe und an den Städtischen Bühnen Freiburg. Ich kann Ihnen noch alle Schauspieler und alle Stücke nennen! (beginnt mit Namen, Stücktiteln, Rollen …)

Okay, danke! Ist gekauft. Für Sie selber gab es nie eine Alternative?

Nein. Schon im Gymnasium war ich in einer Schauspielgruppe, wo wir uns an Stücke von T.S. Eliot oder Christopher Fry machten: also sprachlich sehr anspruchsvoll und eigentlich jenseits unseres Horizonts. Doch ich wollte aus einem mir selber unerklärlichen Trieb hinter den Horizont, weil es mir mehr Freude machte als alles andere. Ich wollte nie Lokomotivführer oder Kapitän werden.

Ihre nächste Rolle ist der Sonderling Krapp in Samuel Becketts Solodrama „Das letzte Band“, inszeniert von Peter Stein, Premiere am 15. März in der Schinkel-Kirche von Schloss Neuhardenberg. Danach folgen Gastspiele in Paris, Lissabon, Moskau und beim Movimentos-Festival in Wolfsburg.

Es war mein Wunsch, das in Neuhardenberg herauszubringen, in der Kirche, also im Bühnenbild von Schinkel. Ich finde, dass dieser Ort mit seiner Stille und Konzentration dafür wunderbar geeignet ist.

Beckett-Clown. Brandauer in „Das letzte Band“.
Beckett-Clown. Brandauer in „Das letzte Band“.

© Jim Rakete

Krapp, ein Kauz und offenbar wenig erfolgreicher Schriftsteller, hört alte Tonbänder mit seiner Stimme aus früheren Jahren ab und lässt so sein Leben Revue passieren. Eine Paraderolle schon für viele Ihrer Kollegen, von Martin Held und Bernhard Minetti bis Otto Sander und Sepp Bierbichler. Krapp ist 69 Jahre alt. Sie sind auch 69.

Das ist Zufall. Die Idee kam von Peter Stein. Ich bin erst mal zusammengezuckt, weil ich ja eher noch der jugendliche Prinzen-Darsteller sein möchte! (Lachen). Nein, im Ernst: Es gibt ja keine Altersrollen, nur Erfahrungsrollen. Und der Erfahrungsschatz wird mit dem Alter immer größer. Max Reinhardt sagte, dass Schauspieler sich ein Stück Kindheit in ihre Tasche stecken, um damit bis ans Lebensende zu spielen. Der 69-jährige Krapp geht auf seinen Bändern auf den 39-Jährigen zurück, der sich wiederum den 27-Jährigen wachruft, der er einmal war. Diese fast mathematische poetische Zeitreise durchs Leben fasziniert mich.

Es ist Ihre erste Beckett-Rolle?

Ja. Fritz Kortner, mit dem ich das Glück hatte, in „Emilia Galotti“ 1970 in seiner letzten Inszenierung den Prinzen zu spielen, wollte mit mir das „Endspiel“ machen, aber dazu kam es nicht mehr.

Der alte Krapp beugt sich über sein Leben, die Tonbandspulen sind seine Lebensrollen. Er begegnet in der Erinnerung seinen verflossenen Lieben, den Hoffnungen der Jugend, aber alles ist vergangen. Und die Zukunft verheißt nur noch den Tod. Sind Sie sich bei der Arbeit auch selbst begegnet?

Ja, auch. Krapp ist im Leben nur wenig gelungen. Als Schriftsteller hat er elf Bücher „nach Übersee“ verkauft, sein sarkastischer Kommentar: „Ich werde bekannt.“ Ein einsamer Trinker. Aber Krapp hatte mal geliebt und wurde von einem Mädchen wiedergeliebt.

Jean Paul schrieb, „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“.

Das gefällt mir. Das kann ich gebrauchen. Gut, dass die Premiere erst kommt.

Und wo sind Sie sich im Krapp begegnet?

Man hat nicht genug geleistet, es ist zu wenig gelungen, man hätte es besser machen können, du hast dir und den anderen nur was vorgemacht.

Machen Sie auch jetzt etwas vor? Sie haben auf den größten Bühnen die größten Rollen gespielt, Sie wurden durch Istvan Szabos 1982 Oscar-gekrönten Film „Mephisto“ als Schauspieler Hendrik Höfgen alias Gustaf Gründgens weltberühmt und waren im Kino der Gegenspieler von Sean Connerys James Bond. Als Sie in London spielten, kam die Queen zu Ihnen auf die Probe.

Wissen Sie, für mich ist die interessanteste Arbeit immer die, mit der ich gerade beschäftigt bin. Ich habe schon ein paar tolle Sachen gemacht, auf ein paar bin ich sogar stolz, aber das ist alles viel weniger wichtig, als es den Anschein hat. Wesentlich im Leben sind andere Dinge, die sich oft dem eigenen Einfluss entziehen.

Nichts ist komischer als das Unglück

Sie haben einmal ein großes Unglück erfahren, vor zwanzig Jahren der Krebstod Ihrer ersten Frau Karin Brandauer.

Darüber habe ich nie öffentlich gesprochen. Das möchte ich weiter so halten.

Künstler schöpfen aus ihren Erfahrungen.

Natürlich, sie fließen in das ganze Leben ein, und das Publikum spürt das.

Beckett sagt, scheitern –

„Scheitern, wieder scheitern, besser scheitern.“ Einigen wir uns auf das.

Ein anderer Beckett-Satz aus dem „Endspiel“ lautet: „Nichts ist komischer als das Unglück.“ Auf Probenfotos vom „Letzten Band“ sieht man, dass Sie den Krapp mit einer riesigen Clownsnase spielen werden.

Beckett beschreibt den Krapp wie einen Clown, mit übergroßen Schuhen, zu kurzen Hosen, Säufernase. Meine Maske ist am Anfang ganz frisch und feucht, dann trocknet sie während des Spiels langsam ein, auch das ergibt ein Bild. Ich vertraue da meinem Freund Peter Stein.

Es ist ihre dritte gemeinsame Arbeit, nach „Wallenstein“ und dem „Zerbrochnen Krug“ am Berliner Ensemble.

Peter Stein ist ein Theatermann, wie ich nur wenige erlebt habe. Ein unglaublich intelligenter Leser von Texten, großzügig gegenüber der Fantasie eines Schauspielers, präzise in seinen Einwänden und Vorschlägen und mit einem Gespür für Töne und Gebärden, für Rhythmus und Tempi, wie es nur die ganz großen Kegelbrüder haben in unserem Gewerbe.

Sie werden am 22. Juni 70 Jahre alt. Wissen Sie schon, wie Sie Ihren Geburtstag feiern?

Vielleicht in Aussee mit meiner Frau Natalie und Freunden. Vielleicht verführt mich aber auch der Herr Krapp.

Das Gespräch führte Peter von Becker

Seit 1972 ist Klaus Maria Brandauer, Sohn einer österreichischen Mutter und eines deutschen Vaters, Mitglied des Wiener Burgtheaters. Mit der Titelrolle in István Szabós „Mephisto“ begann für den einstigen Ministranten aus dem steirischen Aussee 1982 auch der weltweite Kino-Ruhm. Nach dem Bond-Film „Sag niemals nie“ spielte er mit Meryl Streep und Robert Redford in „Jenseits von Afrika“ und gewann einen Golden Globe. Brandauer führte auch Regie in Theater und Oper. Im Berliner Ensemble ist er als Dorfrichter Adam in Kleists „Zerbrochnem Krug“ zu sehen. Samuel Becketts„Das letzte Band“ läuft in Schloss Neuhardenberg vom 15. bis 17. und 22. bis 24. März. Beim Wolfsburger Festival Movimentos spielt Brandauer das Stück am 2. und 3. Mai.

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