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Pionier des Abstrakten. Kanidnskys "Im Blau" (1925).

© Walter Klein

Klee und Kandinsky in München: Künstler, Freunde, Nachbarn

Das Münchner Lenbachhaus zeigt das Werk der Bauhaus-Meister Paul Klee und Wassily Kandinsky.

„Und was haben wir doch Alles schon zusammen erlebt“, schrieb Lily Klee im März 1937 an Nina Kandinsky. „Trotz allem Negativen welch reiche Jahre in Weimar u. Dessau u. zuletzt 6 Jahre Haus an Haus. Trotz Allem ungeheuer lebendige Jahre. Und wir mit Ihrem Mann schon in München Haus an Haus in der Ainmillerstr. Alle noch jung, in jenen sagenhaften letzten Vorkriegsjahren, wo die Welt noch nicht auf d. Kopf gestellt war.“ Was die Ehefrauen der Maler Paul Klee und Wassily Kandinsky an Erlebtem miteinander teilten, zeigt die Ausstellung „Klee und Kandinsky“ des Münchner Lenbachhauses auf künstlerischer Ebene: eine der großen und fruchtbaren Künstlerbeziehungen des 20. Jahrhunderts. Erstmals widmet sich damit eine Ausstellung präzise den wechselseitigen Einflüssen, die die beiden aufeinander ausgeübt haben.

Im Februar 1937 war es zum letzten Treffen der beiden Bauhaus-Meister gekommen, als Kandinsky den bereits schwerkranken Klee in Bern besuchte. Klee starb 1940 in seiner schweizerischen Heimat, nur 60 Jahre alt, der dreizehn Jahre ältere Kandinsky 1944 im Pariser Exil. Vor dem Ersten Weltkrieg haben sie im Münchner Bohème-Viertel Schwabing nahe beieinander gelebt, ohne sich zu begegnen, ihre Kunst ist zu diesem Zeitpunkt denkbar verschieden. Kandinsky verarbeitet Motive seiner russischen Heimat und lässt sich zugleich auf bayerische Motive ein, ist zudem ein geschäftiger Organisator von Künstlervereinigungen und Ausstellungen. Klee hingegen ist ausschließlich grafisch tätig und braucht Jahre, um seine Selbstzweifel zu überwinden und zu eigener Ausdrucksform zu finden. Im Lenbachhaus verschwinden Klees fein ziselierte Blätter fast gegenüber den ausdrucksstarken Gemälden Kandinskys. Im Herbst 1911 lernen sie einander kennen. Die Herausgabe des Almanachs „Der Blaue Reiter“ im folgenden Jahr steht bevor, mit dem Kandinsky und sein enger Freund Franz Marc die Summe ihrer neuen Kunst und deren theoretischer Grundlagen ziehen. Klee gewinnt an Statur; Einzelausstellungen beider Künstler folgen dicht nacheinander in der führenden Berliner Avantgarde-Galerie „Der Sturm“. Dann zerreißt der Weltkrieg das Geflecht künstlerischer Beziehungen in München auf immer.

In Dessau wohnten die beiden Wand an Wand in ihrem Meister-Doppelhaus

Ein neues, das wichtigste Kapitel beginnt mit der Gründung des Bauhauses in Weimar. Walter Gropius beruft Klee 1920 an die neue Lehrstätte, Kandinsky ein Jahr später. Bis 1931, als Klee an die Düsseldorfer Akademie wechselt, arbeiten beide nicht nur am selben Institut, sie unterrichten auch die für alle Studenten obligatorische „Grundlehre“. In Dessau, wohin das Bauhaus nach der Vertreibung durch die thüringische Landesregierung 1926 übersiedelt, beziehen die Ehepaare Klee und Kandinsky eines der Doppelhäuser, die Gropius für die „Meister“ entworfen hat, und wohnen fortan Wand an Wand; mit einem oft genutzten direkten Übergang durch den Keller. Klee behält nach dem Wechsel nach Düsseldorf seine Doppelhaushälfte, kehrt regelmäßig nach Dessau zurück. So kommt es zu den von Lily Klee erwähnten „6 Jahren Haus an Haus“. Beide Künstler verlieren 1933 ihre Lehrämter und verlassen Deutschland im Dezember. Die Berner Begegnung von 1937 bleibt ihr einziges Zusammentreffen in der Emigration.

Die Ausstellung des Lenbachhauses in dessen unterirdischem „Kunstbau“ ist im Grunde eine Übersicht zur Bauhaus-Zeit mit Prolog und einem – allerdings wichtigen – Anhang. Die beiden Maler arbeiten grundverschieden und, verblüffend genug, doch wieder ähnlich. Klee, der 1914 zur Farbe und damit zur Malerei gefunden hat, lässt seiner spielerischen Fantasie freien Lauf; Kandinsky, der die Grundlegung der Abstraktion noch vor dem Krieg geleistet hatte, arbeitet an der Systematisierung seiner Mittel. Wenn das Bauhaus mit den Primärfarben Rot, Gelb und Blau und den ihnen zugeordneten geometrischen Formen von Quadrat, Dreieck und Kreis assoziiert werden kann, so ist es Kandinsky, der diese Axiomatik einführt und immer und immer wieder erprobt. Klee, und das ist in München faszinierend zu sehen, folgt den Anregungen des Älteren, soweit er sie in seine fein gesponnenen Welten einbeziehen kann. Eine schöne Werkreihe zeigt die Experimente beider Künstler mit der Spritztechnik, die in den späteren 1920er Jahren allerorten ausprobiert wird. Das entspricht der Tendenz des Dessauer Bauhauses, mechanische Verfahren an die Stelle subjektiver Äußerungen zu setzen, unter der Devise „Kunst und Technik – eine neue Einheit“.

Die zeitgenössische Kritik hebt weit stärker die fundamentalen Unterschiede hervor. Kandinskys Arbeit wird durchweg negativ beurteilt, als „hart und gefühlsarm“, ja „unmusikalisch“ – ausgerechnet der Synästhesist Kandinsky, der 1928 eine abstrakte Bühnenkomposition zu Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ geschaffen hatte. Klee hingegen erfährt durchweg Bewunderung; Paul Westheim, Herausgeber des „Kunstblatts“, schreibt über Klee, bei ihm liege „das Märchenhafte im künstlerischen Sehen, in dem Spiel der Linien, in dem Zauber der Farben, im Wunder einer schöpferischen Fantasie“. Klee leistet dieser Auffassung Vorschub, als er einmal über seine Arbeitsweise sagt: „Ich bin zum Schluss selber Beschauer und lasse mich beschenken“.

Nur einmal trafen sich die Freunde nach dem Ende des Bauhauses wieder: 1937 in der Schweiz

Beschenkt wird der Besucher der Münchner Ausstellung mit durchweg hochrangigen Arbeiten beider Künstler aus dem Bestand des Zentrums Paul Klee in Bern und dem der Städtischen Galerie im Lenbachhaus. Die Ausstellung endet mit einem tragischen Höhepunkt, mit dem Spätwerk Klees nach dem Besuch des lange entbehrten Freundes 1937. Klee malt danach die größten Formate seines ganze Œuvres und schwingt sich 1939, seinem rätselhafterweise produktivsten Jahr überhaupt, zum „Übermut“ auf, wie er das Bild eines seiltanzenden Strichwesens vor vielfarbigem Hintergrund nennt. Klees Bildtitel sind immer mit Vorsicht zu lesen; er selbst hat sie lediglich als Hinweis „auf eine von mir empfundene Richtung“ verstanden. Hier aber rührt der Titel zusammen mit dem Entstehungsjahr 1939 das elende Schicksal der Moderne in Deutschland auf. Der nie aufgebende Kandinsky konnte sich im Pariser Exil nochmals häuten, abstraktere Formen finden; Klee aber, so scheint es, fand für immer sein Zuhause in einer grenzenlos befreiten Fantasie, aus der ihn, der sich 1933 fassungslos als „Von der Liste gestrichen“ darstellte, auch die Nazis nicht mehr vertreiben konnten.

München, Kunstbau des Lenbachhauses, bis 24. Januar. Katalog bei Prestel, 32 €, im Handel 49,95 €. www.lenbachhaus.de

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