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In der Wand. Stefan Glowacz am 600 Meter hohen Roraima.Foto: K. Fengler/MFA

© Klaus Fengler

Kletterfilm: In der Wand des Roraima in Venezuela

Sie lieben es extrem, nicht zuletzt, weil sie so extrem ehrgeizig sind: die Steilwandkletterer. Kann man den Mount Roraima in Venezuela bezwingen? In Philipp Manderlas Doku "Jäger des Augenblicks" suchen drei Abenteurer die Antwort.

Die drei Männer sind noch mitten im Dschungel, als sie ein Spinnennest entdecken. Sie nehmen einen Ast und locken das Tier heraus, 15 Zentimeter misst es. „Kann es springen?“, will Holger Heuber wissen. Nein, kann es nicht. „Beißt es oder sticht es?“ Es beißt, sagt Kurt Albert, der älteste der drei und der in derlei Dingen erfahrenste. Und sie stubsen die Vogelspinne mit einem Ast an, wie Jungen es tun, weil sie sehen wollen, dass sie sich bewegt. Es ist diesem Moment noch nicht ganz klar, aber es ist eine Begegnung unter Artgenossen.

Nur wenige Filmminuten später in Philipp Manderlas „Jäger des Augenblicks“ hängt Stefan Glowacz wie eine Spinne in einer Felswand, die sich wie ein mächtiger Schiffsbug über den Urwald im Süden Venezuelas erhebt und zu der er und seine beiden Gefährten sich zuvor tagelang den Weg mit Macheten gebahnt hatten. Glowacz hängt an seinen Armen, die Beine artistisch gespreizt. So zieht sich der Kletterer über den glatten senkrechten Stein in die Höhe. Er stöhnt und flucht. Es gibt niemanden, der ihn mit einem Stock traktiert. Aber es kommt ihm so vor.

Längst hat Bergsteigen nichts mehr mit Gipfeln, monströsen Nordwänden, epischen Abenteuern zu tun. Es sind vielmehr die unsichtbaren Probleme, die winzigen Unmöglichkeiten, die Extremkletterer wie Glowacz, Albert und Heuber in den Bann ziehen. Am Mount Roraima, einem sich 600 Meter über den Dschungel erhebenden Tafelberg, gibt es auch eine solche Stelle, höchster Schwierigkeitsgrad, an der die Expedition zu scheitern droht.

Das wissen die Kletterpartner allerdings noch nicht, als sie im Februar 2010 angelockt von Fotografien („Ja, das ist super, das ist steil“) zu diesem entlegenen Flecken aufbrechen („Aber kann man da was Neues machen?“). Dass auch ein Kamerateam dabei ist, hat mit der ethischen Konsequenz zu tun, mit der die Deutschen vorgehen. Auf technische Hilfsmittel wie Hubschrauber oder Bohrhaken verzichten sie. Deshalb zuerst der Dschungel. Deshalb Spinnen, Schlamm und die belustigten Blicke ihrer Träger, die abwinken, als das Gepäck über eine steile, morsche und glitschige Leiter an den Wandfuß geschleppt werden soll. Die Freunde nennen es den „Verdauungstrakt“. Trotzdem meint Heuber: „Was wir hier erleben, das ist unbezahlbar.“

Es klingt sehr aufgesagt. Wie überhaupt Kletterfilme, die von der Obzession ihrer Protagonisten erzählen, oft den Charme von Motivationskursen haben: das Abenteuer als inneres Erlebnis (oder auch umgekehrt). Dieselbe luxuriöse Haltung findet sich in der DVD-Dokumentation der Kletterbrüder Alexander und Thomas Huber, die ebenfalls jetzt herauskommt. Ihr Ausflug in die Arktis war ebenfalls ein frustrierendes Erlebnis. Aber Obzession macht noch kein Drama. Dass die Kleidung, die schöne Gorotex-Funktionswäsche, verdreckt, dass die Fertignahrung nach etlichen erfolglosen Tagen in der Wand zur Neige geht, dass der ständige Tropenregen in Venezuela Wasserfälle über die Kletterer ergießt, dass ein Sturz Glowacz’ Ferse lädiert und sie einen ersten Versuch abbrechen müssen, gehört doch nur einfach dazu. „Wenn ein Tag dem anderen gleicht, dann ist es schon fad, dann ist es schon Alltag“, sagt Glowacz einmal.

Geschenkt, Mister Free Solo. Aber wir haben die Uhr ticken gehört, die Sie und Ihre Partner selbst an diesem zivilisationsfernsten aller Orte unter Druck setzt. Nur wenige Tage haben Glowacz und die anderen Zeit für ihr Werk. Zu hause warten Familien und die Verpflichtungen eines beinharten Marketingpensums. Stefan Glowazs betreibt seine eigene kleine Ich-AG mit Ausrüsterverträgen, Vortragsreihen und „Red-Bull“-Sponsoring. Der Getränkekonzern finanziert denn auch diesen Film über einen seiner Marken-Helden, der in Werner Herzogs Bergsteigerdrama „Schrei aus Stein“ 1991 noch ein ganz anderer war. Ein vom Wettkampf befeuerte Leistungsjunkie, der sich darin gefiel, ohne Seilsicherung in vielen hundert Metern Höhe einarmig unter einem Felsvorsprung zu hängen.  

Heute ist Glowacz mit 48 Jahren über seinen Zenith hinaus. Er trainiert verbissen dagegen an. Doch am Ende wird ihm eine Kletterstelle zu schaffen machen, über die er sich früher keine Gedanken zu machen brauchte. Aber darum geht es nicht. Sondern um die Frage: Wofür das Ganze? Mit dem Tod Kurt Alberts drängt sie sich den Freunden auf. Der Erfinder des Rotpunkt-Bergsteigens, das Hilfsmittel wie Seile und Haken nur zur Absicherung ansonsten vollkommen freier Tritte und Griffe erlaubt, stürzte im September 2010 aus einer Trainingswand in der Fränkischen Schweiz. Ein dummer Unfall. Seine Seilpartner kehren, klar, zu dem Berg im Dschungel zurück. Es ist ihre Form der Trauerarbeit, was der Film durch Off-Kommentare des Toten ziemlich unbeholfen intoniert.

Eigentlich ist es wohl so: Der Ehrgeiz des Kletterers kann keine Zurückweisung ertragen. Da muss der Zuschauer dann mit durch.

Kant, Kulturbrauerei, Passage

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