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Kultur: Klick, klack, brumm, summ

Umbruch in der Klangkunst-Szene:  Die Singuhr-Hoergalerie verliert ihren festen Ort, doch es gibt Alternativen. Ein Rundgang.

Die Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit. Es ist kühl, die konzentrisch angelegten Kreisgänge des Wasserspeichers sind ein verwirrendes Labyrinth. Aus den Tiefen des Gewölbes kommt ein tiefes Grollen, das immer wieder anschwillt und abebbt. „Heute ist ein guter Tag“, sagt Carsten Seiffarth, der zusammen mit Markus Steffens die Singuhr-Hoergalerie betreibt und die Wasserspeicher immer wieder mit Klangkunst füllt. Ein leichter Wind weht über den Prenzlauer Berg. Er verfängt sich in den Saiten der Harfe, die der Künstler Max Eastley auf dem Dach des alten Gemäuers montiert hat. Feine Mikrofone nehmen die Bewegung auf, übertragen sie ins Innere und werden über Lautsprecher hörbar gemacht. So entsteht das Grollen.

Doch schon bald wird es hier still sein. Wind hin oder her. Die Ausstellung „Aeolian Circles“ des britischen Künstlers und Musikers Eastley ist zusammen mit einer Installation des deutschen Künstlers Jens Brand im Kleinen Wasserspeicher, die letzte der Singuhr-Galerie. Am 23. September verlassen Seiffarth und Steffens die Speicher. Das Geld fehlt, um weiterhin drei bis vier Ausstellungen im Jahr zu stemmen. Das zuständige Bezirksamt Pankow musste das Budget kürzen. Und es ist nicht einfacher geworden, Drittmittel einzuwerben.

Das Ende dieser Klangkunst-Plattform ist ein Verlust. Denn in diesen Dimensionen und auf diesem internationalen Niveau mit 80 beteiligten Künstlern, darunter Vorreitern wie Maryanne Amacher, Alvin Lucier, Rolf Julius oder Carsten Nicolai, war die Galerie einmalig. Und es passt auch nicht zu einer Stadt, die als Hauptstadt der Klangkunst gilt. Bereits 1953 wurde hier das Elektronische Studio an der TU gegründet, das maßgeblich die Sound-Art-Szene und Neue Musik förderte. Im Hamburger Bahnhof gibt es regelmäßig die Ausstellungsreihe „Musikwerke bildender Künstler“. Ende Oktober findet das kleine „Internationale Klangkunstfestival“ statt. Seit mehr als 30 Jahren zieht der auf Klangexperimente und Geräuschmusik spezialisierte Laden „Gelbe Musik“ in der Schaperstraße mit seinem hervorragenden Plattensortiment von den Fluxus-Anfängen bis heute Kunden aus der ganze Welt an. Und immer wieder kommen neue kleine Orte hinzu, von familiär bis kommerziell.

Einer der mit Sound-Art Geld verdienen möchte, ist Mario Mazzoli. Seine Sammler sitzen zwar eher außerhalb der Stadt, räumt er ein, aber die Standortwahl fiel leicht: „New York ist nichts gegen Berlin, was die Klangkunst-Szene betrifft“, sagt er. Der italienische Komponist und Musikwissenschaftler präsentiert seine Künstler in einer Altbauwohnung in der Potsdamer Straße. In einem Zimmer steht ein Flügel. Der Franzose Céleste Boursier-Mougenot hat ihn zu einem Billardtisch umgebaut. Das Instrument bleibt stumm. Nur das Klicken und Klacken der schweren Kugeln, wenn sie aneinanderstoßen oder dumpf die Bande berühren, ist zu hören – und auch nur dann, wenn jemand spielt. Boursier-Mougenots Arbeiten, vom heutigen Freitagabend an zu sehen, haben eine große Leichtigkeit. Klang entsteht immer live und durch Bewegung. So auch beim bekanntesten Werk des etablierten Künstlers: In einem kreisrunden Pool schwimmen Keramikgefäße, die, mit einer Wasserpumpe in träges Treiben versetzt, ein wunderbares fernöstliches, meditatives Klangschalenspiel ergeben. Ist das jetzt Musik oder Klang? Boursier-Mougenot interessieren solche Definitionen nicht. „Mit 18 habe ich Punk gehört“, sagt er. „Damals riefen alle: Das ist doch keine Musik!“ Er lächelt. So einfach ist das für ihn.

Das Rauschen, das monoton und bedrohlich aus den Boxen im Keller des kleinen Projektraums „Ohrenhoch“ in Neukölln dröhnt, klingt weder nach Punk noch nach Musik im herkömmlichen Sinne. Aber es ist eine Komposition. Die Kalifornierin Sharkiface hat Synthesizer-Soundschnipsel auf der Intensivstation eines Krankenhauses aufgenommen, auf der ihr Freund nach einem Unfall lag, später zusammengefügt und dem Ganzen den Titel „Blood Transfusion“ gegeben. Das Stück läuft in einer Dauerschleife. „Man kann bei uns so lange bleiben, wie man möchte“, sagt der Schweizer Performer, Komponist und Schlagzeuger Knut Remond. Er hat seinen sogenannten Geräuschladen vor fünf Jahren gegründet. Seitdem ist jeden Sonntag offen. Alle ein bis zwei Wochen wechselt das Stück. Unter der Woche finden Workshops für Kinder statt. Die fünf- bis 14-Jährigen experimentieren mit Tonband, Plattenspieler, Mikrofonen und seit Neuestem auch mit dem iPad. Sie nehmen alltägliche Töne aus der Umgebung auf, schneiden Radiohits auseinander, sprechen Texte ein und bauen das zu Hörstücken zusammen.

„Ich wollte Ihnen nur noch einmal sagen, dass ich sehr bedauere, dass Sie hier aufhören.“ Im Singuhr-Wasserspeicher tritt ein älterer Herr an Carsten Seiffarth heran. Er ist keiner, den man ständig auf Vernissagen trifft, aber einer, der offenbar fasziniert ist von jener Art Klangkunst, wie sie Carsten Seiffarth ausstellt: Die einen ganz und gar in Beschlag nimmt und die Architektur miteinbezieht. Konstant 14 Grad herrschen hier und ein Nachhall von langen 18 Sekunden. Nichts dringt von außen herein. „Das Schönste an der Arbeit ist, dass wir Künstlern einen Raum bieten konnten, neue Schritte zu wagen“, sagt Seiffarth. 17 Jahre hat er Klangkunst kuratiert, erst in der Parochialkirche in Mitte, dann im Wasserspeicher. Fortan wollen er und Mitstreiter Steffens ihre Projekte an verschiedenen Orten Berlins realisieren. Der Name bleibt, nur gibt es keine feste Adresse mehr. Seiffarth sagt: „Es geht weiter.“ Den Herrn beruhigt das nicht.

Singuhr-Hoergalerie: Max Eastley (Großer Wasserspeicher), Eingang Belforter Str., Jens Brand (Kleiner Wasserspeicher), Eingang Diedenhofer Str., bis 22.9., Mi-So 14-20 Uhr; Galerie Mario Mazzoli: Céleste Boursier-Mougenot, Potsdamer Str. 132,

Eröffnung: 6.9., 19 Uhr, bis 2.11., Di-Sa 12-18 Uhr; Geräuschladen Ohrenhoch, Weichselstr. 49, So 14-21 Uhr

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