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Gewölbt. Die Krypta im Kloster Memleben in Sachsen-Anhalt.

© Tim Hufnagl für Cab Artis/Promo

Klosterkultur in Sachsen-Anhalt: Armut ist die größte Pracht

Den Glaubenswelten des Hochmittelalters auf der Spur: eine Ausstellung im Benediktinerkloster Memleben und ein Besuch in der Zisterzienserabtei Schulpforta.

Alles sei allen gemeinsam. Der Satz, der aus der biblischen Apostelgeschichte stammt, klingt utopisch: kein Eigentum für niemand. Die Benediktiner organisieren nach dieser Maxime ihren Alltag. Besitzlos, fromm und arbeitsam zu sein und sich der Autorität des Abtes zu unterstellen, den sie Prior nennen – das sind Tugenden, denen sie seit Jahrhunderten folgen. Besonders eindrucksvoll ausgearbeitet sind die Bestimmungen auf einer Benediktinerregel, die nach 799 im Kloster St. Gallen entstand. Zwischen den lateinischen Zeilen sind althochdeutsche Übersetzungen eingefügt. Nachhilfe für werdende Mönche, ein Beispiel erfolgreicher Missionsarbeit. Kapitel 48, das vom Tagesablauf im Kloster handelt, beginnt mit einer Mahnung: „Müßiggang ist der Seele Feind.“

Zu sehen ist die Handschrift in der Ausstellung „Wissen und Macht“ über – so der Untertitel – den „Heiligen Benedikt und die Ottonen“. Einen schöneren Ort als das sachsen-anhaltinische Kloster Memleben bei Naumburg kann man sich dafür kaum vorstellen. Für einen Wimpernschlag der Geschichte war der heutige 690-Einwohner-Ort ein kulturelles Zentrum von internationaler Bedeutung. An der Via Regia, einer wichtigen mittelalterlichen Handelsstraße gelegen, muss hier eine Pfalz existiert haben. König Heinrich I. und sein Sohn Kaiser Otto I. starben in Memleben, zu ihrem Gedenken gründete Nachfolger Otto II. um 979 ein Benediktinerkloster, das der Missionierung der Slawen diente und zur Reichsabtei aufstieg. Es war nicht bloß fürs posthume Seelenheil der Herrscher gedacht, als Bastion weltlicher Macht stand es auch für den gen Osten gerichteten Expansionsdrang ihrer Dynastie.

Nach dem Tod von Kaiser Otto III. begann im 11. Jahrhundert der Niedergang. In den Bauernkriegen wurde das Kloster geplündert, nach der Auflassung 1548 verwandelte es sich zum Landgut. Die mittelalterlichen Gebäude wurden als Steinbruch benutzt und verfielen. Für ihre Rettung sorgte Karl Friedrich Schinkel. Nachdem 1815 ein Teil Sachsens und Thüringens an Preußen gefallen war, hatte man den Architekten mit der Sichtung der dortigen „Alterthümer“ beauftragt. Eine Bleistiftzeichnung, die er 1816 von der „sehr schön erhaltenen Gliederung der Pfeiler, Säulen und Bogen, welche die beiden Seitenschiffe der Kirche abtheilten“ anfertigte, wird in der Ausstellung erstmals gezeigt.

In der Krypa wurden zu Schinkels Zeiten Kartoffeln gelagert

Zu DDR-Zeiten fungierte das Kloster als Volkseigene Genossenschaft für Tier- und Pflanzenproduktion. Eine im Jahr 2008 gegründete Stiftung machte aus der Anlage ein Museum. Die gewaltige Klosterkirche aus dem 10. Jahrhundert, deren Ausmaße einer Kathedrale nahekamen, ist verschwunden. Bodenmarkierungen erinnern an ihren Grundriss. Von der Marienkirche aus dem 13. Jahrhundert, die Schinkel festgehalten hat, ragen noch die malerisch ruinösen Seitenfassaden des Langhauses auf, Obergaden und Dach fehlen. Die Krypta, in der bis zu Schinkels Auftauchen Kartoffeln gelagert wurden, ist als einziger Raum aus der Zeit um 1200 vollständig erhalten. Säulen mit prachtvollen Kapitellen tragen ein gotisches Kreuzgratgewölbe, durch neue, floral und abstrakt gemusterte Bleiglasfenster dringt warmes Licht. Ein Ort mediativer Weltentrückung.

Die Bezeichnung „Mönch“ geht auf das altgriechische Wort „monachos“ zurück, das für „allein, einzig“ steht und den Rückzug aus der Welt andeutet. „Wissen und Macht“ fasst zweitausend Jahre Kirchen- und Kulturgeschichte auf 350 Quadratmetern und in 60 Objekten zusammen, seit der Ausbreitung des Mönchstums von Nordafrika nach Europa und der Gründung des ersten abendländischen Klosters durch Benedikt von Nursia 529 im süditalienischen Monte Cassino.

Das Leben der Mönche bestand aus Askese, Einfachheit und Disziplin. Der berühmte St. Galler Klosterplan, den Abt Gozbert 820 zeichnen ließ, ist in einer Kopie und als Holzmodell mit 3-D-Animation zu sehen. Nach dem Muster dieses Generalplans, der neben Altären, Gemüsebeeten und Obstgärten auch die Anordnung der Tischbänke im Refektorium festlegte, sind alle Benediktinerklöster gebaut worden, auch das in Memleben. Der Klostergrundriss, so befand der Historiker Otto Borst, sei der „nie erloschenen Sehnsucht des Mittelalters, das himmlische Jerusalem schon auf Erden bauen zu dürfen, noch am nächsten gekommen“.

Das Leben der Mönche war hart und anstrengend

Die Mönche wollten wie Christus und die Apostel leben, sie richteten ihr Dasein am Ideal der "vita apostolica" aus. Das war hart und anstrengend. Die Bewohner eines Benediktinerklosters standen nach kaum vierstündigem Schlaf eine Stunde nach Mitternacht auf, um sich zum Nachtgottesdienst zu begeben. Nur im November, Dezember und Januar schliefen sie länger. Die Klöster konnten kaum beheizt werden, gebadet haben die Mönche an zwei bis fünf Terminen im Jahr. Meist starben die Klosterbrüder früh, zwischen ihrem 30. und 40. Lebensjahr.

Während die frühen Benediktiner noch so im Kloster lebten, wie es ihren adligen Gepflogenheiten entsprach, standen manche ihrer Nachfolger als Bettelmönche in den Gassenecken der Städte. Die Zisterzienser, im elften Jahrhundert vom Benediktiner Robert von Molesme ins Leben gerufen, setzten auf verschärfte Askese. Ihr Orden entstand als Gegengründung zur Prachtentfaltung, die sich etwa in der Benediktiner-Abtei Cluny zeigte. „Reformation“ wurde zum Modewort, der später heilig gesprochene Papst Gregor VII., „Zuchtrute Gottes“ genannt, machte sich energisch daran, die Kirche vom Makel der Simonie, des Ämterkaufes, zu befreien. In seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch „Das Mittelalter. Europa von 500 bis 1500“ (Klett-Cotta) spricht der britische Historiker Chris Wickham von einer „moralischen Panik“ als Signum der Zeit.

Grau ist die Farbe Gottes. Die Kirche der ehemaligen Zisterzienserabtei Schulpforta
Grau ist die Farbe Gottes. Die Kirche der ehemaligen Zisterzienserabtei Schulpforta

© Matthias Haase/Promo

Benediktiner verstanden sich als dazu auserwählt, einen göttlichen Plan zu verwirklichen. Auf dem prachtvollen Barockgemälde eines Benediktiner-Stammbaums, entstanden 1721, thront der heilige Benedikt vor einem Baum, der statt Früchten die Schüler und Schülersschüler des Ordensgründers trägt, Päpste, Kardinäle, Äbte, Nonnen, Mönche. Papst Gregor der Große, der Benedikts Lebensgeschichte überlieferte, hält zwei Bildtafeln mit Szenen aus der Benediktsregel hoch.

Klöster waren Horte der Gelehrsamkeit. Bevor um das Jahr 1000 herum die ersten Universitäten gegründet wurden, wurde das Wissen nirgends besser bewahrt und vermehrt. Mönche transkribierten und übersetzten antike Schriften, entwickelten Bewässerungssysteme und Verfahren zur Salzgewinnung. In der Ausstellung zeigt eine Miniatur einen Mönch, der durch ein Sehrohr blickt. Sie war Teil einer Sternenuhr, mit der sich der Verlauf der Gestirne verfolgen ließ. Max Weber bezeichnete den mittelalterlichen Mönch als ersten rational lebenden Menschen. Er dachte dabei an das Stundenbewusstsein der Ordensleute, geschuldet ihrem strengen Tagesablauf. Die Zeit ist – zugespitzt gesagt – im Kloster entdeckt worden.

Trunkenheit, Prunksucht und Frauengeschichten regierten

In Memleben war im Zeitalter der Reformation nicht mehr viel vom geistigen Glanz übrig. Der Mönch Martin Kalwitz berichtet 1523 von der „Verwahrlosung des Messdienstes“ in Memleben, von Trunkenheit, Prunksucht und unsittlichen Begegnungen mit Frauen. Der protestantisch gesinnte Herzog Heinrich von Sachsen verfügt einige Jahre später die Auflösung aller Klöster in seinem Herrschaftsbereich. Memlebens Weg in die Zweitklassigkeit hatte allerdings schon deutlich früher begonnen. 1015 unterstellte Kaiser Heinrich II. die Abtei dem Kloster Hersfeld. Damit wurde Memleben zu einer abhängigen Propstei, die ihre Gewinne abzugeben hatte. Ein Faksimile des Dekrets ist in der Ausstellung zu sehen.

Parallel dazu stieg das 1137 gegründete Zisterzienser-Kloster Schulpforta in Naumburg zu einer angesehenen und wirkmächtigen Institution auf. Nach der Säkularisation verwandelte es der sächsische Herzog Moritz 1543 in eine Fürstenschule. Später gehörten Nietzsche, Klopstock und Fichte zu den Schülern, bis heute wird im Internatsgymnasium der Landesschule Pforta unterrichtet. Doch große Teile der Anlage sind auch für Besucher zugänglich. Der teilweise erhaltene romanische Kreuzgang, Wirtschaftsgebäude, Gartenanlage und das bis heute genutzte Bewässerungssystem ermöglichen einen Einblick in den mittelalterlichen Klosteralltag. Bis 2022 soll ein Museum entstehen.

In der Klosterkirche, die 1268 eingeweiht wurde und einem Dom gleicht, triumphiert die Bescheidenheit. Über der Vierung ragt, typisch für die Zisterzienser, bloß ein hölzerner Dachreiter auf. Die Grisaille-Fensterrose auf der Nordseite des Chores, ist in Grauabstufungen gefasst. Im Mittelschiff hängt ein gewaltiges Kreuz aus der Zeit um 1250 mit einem sehr blassen, mageren Christus. Farbigkeit war bei den frommen Mönchen verpönt. Ihre Gewänder waren schwarz, grau, vielleicht noch braun. Die Buntheit, das Signal des Lasters, musste vom Teufel erfunden worden sein.

„Wissen und Macht“, Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben, Sachsen-Anhalt, bis 15. Oktober, tgl. 10-18 Uhr. Das Zisterzienserkloster Schulpforta in Naumburg ist bis Oktober tgl. von 10-18 Uhr geöffnet.

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