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Knetfigurenfilm: Ein seltsames Paar

Zärtlich: Der Australier Adam Elliot begründet mit „Mary & Max“ das Genre des Knetfiguren-Dramas.

Eigentlich ist hier gar nichts komisch – obwohl sich hier alles um komische Knetfiguren dreht. Dem Australier Adam Elliot gelingt mit seinem ersten abendfüllenden Film, worauf niemand wirklich gewartet hat: Er begründet das Genre des Knetfilm-Dramas. Die beiden Protagonisten haben ein hartes Leben erwischt. Die achtjährige Mary mit Augen von der Farbe schmutziger Pfützen und einem kackfarbenen Muttermal mitten auf der Stirn – so beschreibt sie der Erzähler – lebt in einer australischen Kleinstadt, die in tristen Brauntönen dargestellt wird. Vater und Mutter kümmern sich kaum um sie: Der Vater heftet in der Fabrik Schnüre an Teebeutel, die Mutter trinkt Sherry und raucht Kette.

Noch trister ist die Welt von Max. Sein New York versinkt in Schwarz, Weiß und Grau. Der 350 Pfund schwere Mittvierziger (im Original von Philip Seymour Hoffman gesprochen) hat das Asperger-Syndrom. Wegen der autistischen Störung kann er Gesichtsausdrücke nicht deuten und hat immer ein kleines Buch dabei, in dem Mimiken erklärt werden. Sein einziger Freund ist Mister Alfonso, ein Unsichtbarer, der Selbsthilfeliteratur liest.

Das Heldenpaar findet zusammen, als Mary auf der Suche nach einem Brieffreund zufällig Max’ Anschrift aus einem Telefonbuch reißt. Sie schreibt ihm ins Blaue einen Brief mit existenziellen Fragen. So will sie wissen, wo die Babys herkommen. „Babys schlüpfen aus Eiern, die Rabbiner ausbrüten. Wenn du nicht jüdisch bist, werden sie von katholischen Nonnen gelegt. Wenn du Atheist bist, werden sie von einsamen, verwahrlosten Prostituierten gelegt“, antwortet Max. Das ist der Beginn einer jahrzehntelangen Brieffreundschaft, in der beide ihr Leben offenlegen. Zwei Biografien voller Demütigungen, Rückschläge und oftmals purem Stillstand. Doch die Briefe haben durchaus positive Wirkung. So wird Mary dank ihrer Erfahrungen mit Max zur vielgelobten Autismus-Forscherin. Was allerdings nicht heißt, dass der Film einem üblichen Happy End zusteuert.

Besondere Verhältnisse kennt der australische Regisseur aus seiner eigenen Biografie. Der 38-Jährige wuchs auf einer Krabbenfarm im Outback auf, sein Vater verdiente sein Geld auch schon mal als Akrobatik-Clown. Seine frühen Kurzfilme handeln, so sagt Adam Elliot, von einzigartigen Lebenswegen gewöhnlicher Leute. Mary und Max hebt er schon durch die Vielzahl ihrer Schicksalsschläge aus der Masse heraus. Gerade weil so viele Höhen und Tiefen dargestellt sind, funktioniert „Mary & Max“ prächtig als Parabel auf die Herausforderungen und Nöte des menschlichen Lebens. Die Traurigkeit des Stoffes wird nur durch die Form des Knetfigurenfilms abgefangen – die skurrilen und witzigen Details einer akribisch gebastelten Welt.

Filmkunst 66, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei, Yorck; OmU im Babylon Kreuzberg und Central

Michael Schulz

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