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Kultur: Koalition ohne Kinder

Berlins Senat will das Carrousel-Theater abwickeln

Im Haus der Berliner Festspiele ist Theatertreffen. Ein Haus weiter sitzt vor einem schwarzen Vorhang in schwarzem T-Shirt der Intendant des größten deutschen Kinder- und Jugendtheaters. Neben ihm an der Wand warten ein paar Schauspieler mit halb geschminkten Gesichtern. Aber hier im Raum 201 der UdK wird kein Stück gegeben. Dies ist eine Pressekonferenz. Vierzehn Jahre lang ist Manuel Schöbel nun schon Intendant des Carrousel-Theaters an der Parkaue. Er kennt viele längst verflossene Kultursenatoren, er weiß, was einem kleinen Theater so alles passieren kann und hat sogar die Radunski-Idee des Jahres 1997 überstanden, den Zuschuss des Carrousel-Theaters von damals 15 Millionen DM auf 5 Millionen zu streichen. Trotzdem wirkt er ein wenig, als träume er gerade einen sehr bösen Traum, müsse aber jeden Moment aufwachen. Schließlich steht in der SPD-PDS-Koalitionsvereinbarung ausdrücklich: „Das Carrousel-Theater wird in seiner Handlungsfähigkeit gestärkt.“

Da haben sich also in der letzten Woche der Bürgermeister, sein Finanzsenator und auch Kultursenator Thomas Flierl getroffen und darüber nachgedacht, wie man wohl die nun fehlenden Einnahmen aus den nun fehlenden Studiengebühren kompensieren könnte. Plötzlich stand das Carrousel-Theater im Raum. Ihm die Hälfte der Mittel zu streichen, das wäre doch ein Anfang! In Manuel Schöbels Gesicht steht: Das wäre das Ende. Und etwas steht da noch: das Wissen, wie viele Theaterintendanten auf wie vielen Pressekonferenzen schon dasselbe gesagt haben. Nur dass es diesmal definitiv stimmt. Denkt Schöbel. Aber wie sagt man das? Der Intendant entschließt sich zu einem simplen: Es geht einfach nicht! Schon deshalb nicht, weil das Carrousel-Theater noch immer unter den Folgen der alten Radunski-Idee leidet.

Das Licht von Lichtenberg

Statt 10 Millionen DM wurden schließlich „nur“ 5 Millionen DM gestrichen, aber da man Menschen nicht mit einer Handbewegung streichen kann wie Zuschüsse, ist dem Theater ein strukturelles Defizit entstanden. Ein strukturbedingtes Defizit, kein managementbedingtes Defizit, konkretisiert Schöbel, der Ökonom – denn jeder Theaterintendant ist meist ein Ökonom wider Willen. Jetzt versteht man die Fassungslosigkeit des scheidenden Theaterindendanten Schöbel schon besser. Alles hätte er erwartet. Vor allem die Entschuldung seines Theaters. Eine Struktur- und Findungskommission für seine Nachfolge ist schließlich auch schon berufen. Aber was soll die jetzt noch finden und strukturieren?

Neben Schöbel sitzt Wolfgang Schneider, Präsident der Internationalen Vereinigung des Kinder- und Jugendtheaters, und ist der Meinung, dass man so nicht argumentieren könne, nicht so ökonomisch. Worte wie Kinderrechtskonvention und PISA fallen. London baut sich gerade ein Kinder- und Jugendtheater gleich neben die Tower-Bridge, Stuttgart eröffnet auch bald eins, nur Berlin weiß nicht einmal, welches Kleinod von europäischem Rang (im internationalen Kinder- und Jugendtheater-Vergleich) es da besitzt. Gehen Regierende Bürgermeister, Finanzsenatoren in ein Kinder- und Jugendtheater in Lichtenberg? Wissen sie, dass seine Inszenierungen es an Intelligenz mit denen der großen Theater aufnehmen können? Sie kennen höchstens das Grips-Theater, aber das ist in seiner Struktur nicht vergleichbar. Und nicht in seiner Größe. Schöbel könnte jetzt sagen, dass der Carrousel-„Othello“ damals viel besser war als der zeitgleiche am Deutschen Theater. Und dass man so einen „Woyzeck“ wie seinen erst einmal auf die Bühne stellen können muss.

Aber keiner kann sich selber loben. In die Falle des didaktischen Schüler-Theaters ist das Carrousel noch nie gelaufen, auch nicht mit seiner letzten Inszenierung „Ich knall Euch ab!“ Der Titel stand bereits vor den jüngsten Entwicklungen fest, denn das Stück handelt vom Amoklauf an der Columbine High School in Colorado, USA, 1999. Davon, was geschieht, wenn Menschen sich nicht mehr für Menschen interessieren. Und nicht mehr für Kinder.

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