zum Hauptinhalt
Flashmob gegen Männergewalt am 9. Januar in Köln, eine Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten.

© imago

Köln und die Integrationsdebatte: Die sind noch nicht so weit?

Im Streit um Sexismus, Feminismus und Integration wird es Zeit, auf die Stimmen der aufgeklärten, säkularen Muslime zu hören.

Von Caroline Fetscher

Als seien sie von Pegida bestellt, rauschten die Kölner Krawalle an Silvester heran. Hunderte migrantischer Männer fielen auf dem Platz vor dem Bahnhof über Frauen her. So erschreckend sie sind, die Reflexe der Rechten, so voraussehbar waren sie. Jetzt tobt der Streit zwischen Bagatellisierern und Dämonisierern. Was den einen missfällt, muss den anderen gefallen, und umgekehrt – eine innerdeutsche, eine interne Debatte.

Wenig bis gar nicht diskutiert werden die Stimmen von außen, die säkularen, aufgeklärten muslimischen Stimmen, die Kritik an ihren eigenen patriarchalisch festgefahrenen Gesellschaften formulieren. Dabei sind diese Stimmen die relevantesten. Dass man sich in Kreisen von AfD und Co nicht schert um solche konstruktiven Einwürfe, liegt nicht allein an der dort typischen Intellektuellenfeindlichkeit. Ziel ist da eben nicht die Emanzipation eingeengter Frauen der „anderen“. Im Gegenteil, je mehr Unterdrückung zutage tritt, umso gelegener kommt das der Abschiebeideologie, den Asylfeinden.

Ates, Kelek, Mansour: Ihr größtes Eche finden die säkularen Muslime bei der CDU

Dass aber auch in der Linken bis hin zur Sozialdemokratie kaum oder oft nur auf argwöhnische Weise Interesse an säkularen, kritischen Stimmen aus islamisch geprägten Gesellschaften besteht, ist politisch wie ethisch alarmierend, ein fataler Fehler. Greifbar sind die Bücher dieser Autorinnen und Autoren jedenfalls, teils übersetzte, teils auf Englisch erschienene wie die von Mona Eltahawy, Ayaan Hirsi Ali, Maryam Namazie oder Irshad Manji, teils auf Deutsch erschienene wie die von Seyran Ates, Necla Kelek, Hamed Abdel Samad, Ahmad Mansour und der Atheistin Mina Ahadi.

Ihr größtes Echo finden solche säkularen Texte derzeit bei realistischer werdenden Christdemokraten, wenngleich mitunter dazu instrumentalisiert, sie am rechten Rand des politischen Marktplatzes zu verkaufen. „Nichts findet man in euren politischen Bekundungen zur Unterstützung der Frauenbewegung in den islamisch beherrschten Ländern. Warum?“ schrieb die aus dem Iran stammende Frauenrechtlerin Mina Ahadi Mitte Dezember in einem offenen Brief an Sahra Wagenknecht.

Als die Studentenrevolte in den sechziger Jahren ihren Anfang nahm, dauerte es nicht lange, bis weibliche Kritik laut wurde. Männliches Machtgehabe glich dem der autoritär strukturierten Kleinfamilien und generell des herrschenden Patriarchats. Die Frauenfrage galt als „Nebenwiderspruch“ in Anbetracht der ungerechten Klassenlage. Dann entstanden Schnittmengen zwischen Studenten- und Frauenbewegung, man wurde sich einig in der Kritik an weltlichen wie klerikalen Autoritäten, an der mangelnden Gleichberichtigung und einer auf Angstproduktion und Strafe basierenden Erziehung.

Frauen und Männer protestieren nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht am 9. Januar in Köln.
Frauen und Männer protestieren nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht am 9. Januar in Köln.

© dpa

Tatsächlich war die Revolte binnen weniger Jahrzehnte enorm erfolgreich. Inzwischen sind Kindergärten und Schulen weitgehend gewaltfrei, erobern mehr Frauen die Universitäten, sind verängstigende Sexualmoral und repressive Hierarchien dialogischeren Strukturen gewichen. Wo jetzt allerdings säkulare Aktivisten aus muslimischen Ländern einen ähnlichen Wandel einfordern, erfahren sie ausgerechnet von links misstrauische bis arrogante Ablehnung. Einspruch gegen autoritäre Strukturen in der islamischen Welt, wird impliziert, beleidige den Glauben der Gruppe, sei rassistisch, nicht kultursensibel, prinzipiell suspekt. Schon 2006 attackierten rund 60 Migrationsforscher Necla Keleks Plädoyer gegen Zwangsehen mit „Importbräuten“ in einem offenen Brief und erklärten unter anderem, diese Praxis sei „das Ergebnis der Abschottungspolitik Europas gegenüber geregelter Einwanderung“.

Warum die Defizite der vermeintlich anderen mit Nachsicht betrachten?

„Bei-uns-gab-es-das-doch-auch!“ rufen Wohlmeinende derzeit gern aus, wenn es um Frauenverachtung geht, um Homophobie, Gewalt gegen Kinder, Inhaftierung und Folter Andersdenkender, sektiererischen Hass und brutalisierte Regime. Europas Gräuel werden ins Feld geführt, Kreuzfahrer, Hexenverbrennung, Inquisition, Pogrome. Nicht ohne einen gewissen Triumph wird an die frauenfeindlichen Nachkriegsjahre erinnert, als der Ehemann entscheiden durfte, ob seine Frau einen Job annehmen durfte. Wenngleich das in der Praxis selten passierte, ja, es stand so im Gesetz. Auch das ist historische Wahrheit.

Wozu aber das Gewürz des Triumphs in der Bei-uns-doch-auch-Partitur? Eigentlich scheint das Ganze der nette Versuch zu sein, relativierend auf aktuelle Diskrepanzen aufmerksam zu machen, die Defizite anderer Staaten oder Großgruppen mit einem nachsichtigen Die-sind-eben-noch-nicht-so-weit zu betrachten. Das ist das zweite Leitmotiv der Partitur: „Die brauchen noch ein paar Generationen“, oder „die leben eben noch im Mittelalter“ und so fort.

Was ist kultursensibel daran, denen, die Frauen diskriminieren, mehr Zeit zu lassen?

Es sind überhebliche Argumente, apolitische, verfehlte. „Wir“ und „die“ – redet da der Homo sapiens über die Neandertaler? Leben „die“, deren auf Gewalt basierende Staats- und Familienordnung Kritik erfährt, auf einem anderen Planeten? Sind sie im Zeittunnel stecken geblieben, in einer anderen Epoche? Laufen nicht weltweit digital und per Satellit vernetzt die Fernseher? Mehr Erdenbürger denn je, auch und gerade „Gotteskrieger“, nutzen das Internet und die Hochtechnologien der Mobilität. Globalisierung, zwar heftig attackiert, bringt auch die Internationalisierung des Rechts mit sich, und die der Kommunikation.

Mitglieder autoritär-patriarchal strukturierter Gesellschaften und Zuwanderer, die aus solchen kommen, sind wie „wir“ Bürgerinnen und Bürger einer Staatengemeinschaft, die sich mit der Charta der Vereinten Nationen ein gemeinsames Fundament gegeben hat. Das ist der universelle, im Sinne emanzipatorischer Politik zu verteidigende Maßstab. Dass der Sinn der Charta allein in der Staatsform des demokratischen Rechtsstaats vollends erfüllt werden kann, steht außer Frage.

Jeder Position des „Die-sind-nochnicht-so-weit“ mangelt es an konkreter, klarer Vorstellung der aktuellen Not und Notwendigkeit. Was ist daran „kultursensibel“, denen, die Frauen zum Sex zwingen oder die es in Ordnung finden, wenn Homosexuelle wie im Iran an Kränen aufgehängt werden, „mehr Zeit“ zu lassen? Wem oder was dient es, wenn aktuelle Barbarei mit historischer verglichen und damit bagatellisiert, relativiert wird?

Denen, die säkulare, muslimische Kritiker nicht hören wollen, fehlt es im Kern an genuiner Bindung zur Demokratie. Die einen reden von der „Reinheit der Nation“, die anderen, wie jetzt der Genosse Sigmar Gabriel, fordern den „starken Staat“. Eine sich ihrer selbst bewusste Demokratie gilt es zu fordern, das wäre ein starker, im guten Sinne ansteckender Rechtsstaat. Zugleich impliziert das die Achtung vor der Würde der vermeintlich anderen, die ebenso intelligent, fähig zu ethischem Handeln und an gesellschaftlichem Fortschritt interessiert sind wie „wir“. Der inzwischen berühmte Serge Nathan Dash Menga, Flüchtling aus dem Kongo, kommentiert den Silvesterskandal auf seine Weise auf Facebook. Er sagt dort unter anderem: „Es gibt einen Grund warum wir hier sind, und der Grund ist nicht, weil bei uns die Menschenrechte respektiert werden.“

Zur Startseite