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Kultur: Könige auf dem Rummelplatz

Zwei Foto-Ausstellungen erforschen den mexikanischen Umgang mit Farbe und Kitsch

Von Michael Nungesser

Mexiko ist ein Land der Farben. „Superficies coloreadas" nennt sich deshalb auch eine Ausstellung von vier Fotografinnen im Rahmen des Berliner Festivals "MEXartes", die in der Eingangshalle der Mexikanischen Botschaft zu sehen ist. Marianna Yampolsky, Lourdes Grobet, Claudia Fernández und Melanie Smith beschäftigen sich mit farbigen, oder besser: gefärbten Oberflächen, die im einstigen Azteken-Reich seit jeher eine große Bedeutung besitzen.

Die vor wenigen Monaten verstorbene Marianna Yampolsky, als Kind polnischer Emigranten 1925 in Chicago geboren, kam Mitte der Vierzigerjahre nach Mexiko und arbeitete anfangs als sozialkritische Graphikerin. Bald schon erkundete sie auch mit der Kamera ihre neue Heimat. Sie widmete sich vor allem dem ländlichen Mexiko. Die Fotos der Ausstellung, entstanden von 1970 bis ’90, zeigen in kräftige Farben getünchte Hausfassaden. Die elementare Geometrie der Gebäude belebt und erwärmt sich, strahlt Poesie und Noblesse aus. Die 1940 in Mexiko-Stadt geborene Fotografin Lourdes Grobet sucht hingegen die Farbe in der Natur. Eigentlich müsste man sagen: sie trägt sie in die Natur. Ihre Landschaftsfotos mit farbigen Steinen und Kakteen, mit Wäldern und nächtlich illuminierten Bäumen sind nämlich kunstvolle Inszenierungen, in denen die Natur zum Konstrukt einer urbanen Wahrnehmung wird.

Die beiden jüngsten Fotografinnen, die in Mexiko-Stadt geborene Claudia Fernández und die aus England stammende Melanie Smith, beide Jahrgang 1965, finden ihre Motive in der Großstadt. Fernández kombiniert Aufnahmen farbiger Hausfassaden, Türen und Gitter zu minimalistisch strukturierten Tableaus oder fügt die isoliert fotografierten schnittigen Verzierungen von Überlandbussen zu beinahe abstrakt-konstruktivistischen Kompositionen zusammen. Smith stellt die knallige Farbigkeit von Fitness-Studio und Supermarkt neben die Buntheit stillebenhaft arrangierter Plastikwaren.

Ganz anders die Bildwelten von Rubén Ortiz Torres. Sie zeigen eine Mischkultur aus Kunst und Kommerz, nationalen Mythen und religiösem Kitsch, Mexikanität und American Dream. Der 1964 in Mexiko-Stadt geborene Multimediakünstler, der seit über zwanzig Jahren in Los Angeles lebt, ist ein Grenzgänger. In „Borderlandia" widmet er sich ebenso wie in „American Monarchy" auf dokumentarisch-ironische Weise der massenindustriellen Freizeitkultur Mexikos und Kaliforniens, bei der schwelgerische Farbenpracht essenzieller Bestandteil ist.

Im Haus der Kulturen der Welt zeigt Ortiz Torres eine großformatige Fotoserie von der Anbetung der Heiligen Drei Könige als märchenhaft-tropischem Rummelplatzereignis, das unter dem Motto „Mexico goes Disney" stehen könnte. In der Brotfabrik präsentiert der Künstler die Welt der Vergnügungsindustrie zwischen Hollywood und Las Vegas, Guadalajara und Monterrey. Sezierte Außerirdische und genetische Horrorwesen, der erleuchtete Christus und mittelalterliche Ritter, Drachen und Raumfahrer führen in eine bunte Pop-Welt.

„Superficies Coloreadas“, Botschaft von Mexiko (Klingelhöferstr. 3), bis 29.11., Mo-Fr, 10 bis 17 Uhr.

Rubén Ortiz Torres: „Borderlandia“, Haus der Kulturen der Welt, bis 3.11., Di-So, 10 bis 20 Uhr; „American Monarchy“, Brotfabrik, bis 17.11., Mi-Sa, 16 bis 21 Uhr, So 11 bis 18 Uhr.

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