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Kultur: Königreich der Fliegen

„Das Sägewerk“: Daniel Odijas verstörende Parabel vom polnischen Landleben

Tiefer Fatalismus lähmt den polnischen Landstrich, von dem Daniel Odija in seinem zweiten Roman „Das Sägewerk“ erzählt. Am wohlsten fühlen sich hier die allgegenwärtigen Fliegen. Ansonsten bringen „die Armut Schmutz und die Arbeitslosigkeit Langeweile hervo“. Eine verbogene Klopfstange ist das einzig Herausragende vor Ort. Der 1974 im pommerschen Slupsk (Stolp) geborene Autor und Fernsehjournalist schildert den Alltag in einer aufgegebenen Kolchosensiedlung. Mit der Errichtung eines Sägewerks zieht der Kapitalismus ein – auf Kosten der Umwelt und des Seelenfriedens der Menschen. Der brutale Provinzpotentat Józef Mysliwski will im Sinne der Gewinnmaximierung ganz Polen mit seinem Holz überschwemmen, und zu Anfang scheint sein Plan auch aufzugehen. Der Schläger Józef beherrscht nicht nur seine Frau Maria, sondern weiß die Arbeiter auch durch Wodka und Pornos aus dem Westen gefügig zu machen.

Der Namensanklang an die Heilige Familie – Maria erleidet im Kuhstall eine Fehlgeburt – wirkt in einem Roman aus dem erzkatholischen Polen besonders provokant, wie „Das Sägewerk“ bei seinem Erscheinen 2003 ohnehin heftige Debatten auslöste. Nach einer Kurzgeschichtensammlung und einem Lyrikband hatte Daniel Odija bereits zwei Jahre zuvor mit seinem Roman „Ulica“ (Die Straße) Aufsehen erregt.

„Müllplatz und nicht nur“, „Fliegen und nicht nur“ oder „Erpressung und nicht nur“ lauten die Kapitelüberschriften, die einen vermeintlichen Mehrwert verheißen. Doch das entpuppt sich Kapitel für Kapitel als fataler Irrtum. Der schonungslose Realist Odija blickt tief in die Gemüter der EU-Gegner hinein, die jetzt an der Regierung Kaczynski beteiligt sind. Die Hochburgen dieser Konservativen bis Reaktionäre liegen östlich der Weichsel. Mit Hilfe seiner starken, urtümlichen Metaphorik überhöht der stilsichere Autor seine Beobachtungen in das Parabelhafte, etwa wenn er über den Außenseiter Alek schreibt: „Er sah das Sägewerk, das schon kein Sägewerk mehr war, und Mysliwskis Haus, die hellen Furchen der Wege und den Himmel, so weit, dass man fliegen wollte.“

Die Erinnerungen der Menschen überlagern die trostlose Gegenwart, bis ihnen keine Kraft mehr für die Zukunft bleibt. Am Ende erfasst der allgemeine Niedergang selbst den Sägewerkbesitzer, der, von einem typisch osteuropäischen „Businessman“ betrogen, den Verstand verliert. Diesen Unsympathen porträtiert Odija neben der schönen, aber unglücklichen Wirtin Mariola am intensivsten, bis so etwas wie Empathie entsteht: „Ein Vogelhirn zu besitzen, das einen nicht zum Denken zwingt – dachte sich Józef manchmal. Ohne den unnötigen Ballast von Sorgen und Überlegungen, um sich an der Oberfläche zu halten und nicht zu verlieren, was man angehäuft hat. Ein Vogel häuft nichts an. Mit einem Bewusstsein zu leben, das sich nur auf den Magen und den Flug beschränkt.“

Eine derart drastische Milieuschilderung aus dem Polen der neunziger Jahre hat Seltenheitswert. Allerdings erzeugt das Sujet, das nur negative Steigerungen wie Räusche, „Hurerei“ oder Unfälle kennt, eine gewisse Monotonie. Auch über die sich recht einfallslos wiederholenden Kraftausdrücke in der deutschen Übersetzung muss man hinweglesen – doch das sind Schönheitsfehler.

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