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Kultur: Königsmörder in der Chefetage - Andreas Homoki inszeniert Verdi

Kein Blut fließt in dieser Geschichte um eine Blutherrschaft. Sie spielt auch nicht in Schottland und nicht in grauer Vorzeit.

Kein Blut fließt in dieser Geschichte um eine Blutherrschaft. Sie spielt auch nicht in Schottland und nicht in grauer Vorzeit. Der Regisseur Andreas Homoki verlegt Giuseppe Verdis erste Shakespeare-Oper in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Weil die Mechanismen der Macht überall funktionieren, stellt sich Macbeth an der Oper Leipzig als Führungskraft in einem Aufsichtsrat dar oder auch als Mitglied einer Parteienlandschaft, wo es an der Tagesordnung ist, Menschen kalt zu stellen.

Die Firma, in der er seinen Aufstieg betreibt, Verbrechen auf Verbrechen häuft, macht sich zu Beginn einen Faschingsjux. Alle Frauen sind Hexen, sie sprechen jedenfalls die scheinheiligen Prophezeiungen der Hexen, während sie sich unter roten Papphütchen und Papierschlangen präsentieren. Mit Macbeth und seinem Freund Banquo spielen sie Blindekuh, bis der Spaß einen Augenblick aufhört und Macbeth sich die schwarze Binde von den Augen reißt: Schottischer König soll er werden, behaupten die Frauen. Zunächst aber wird er zum Herren von Cawdor befördert: Dass die erste Prophezeiung sich erfüllt hat, steht in der Zeitung, die in großer Zahl auf der Bühne gelesen wird. Die Hexen kommen zurück und fegen mit ihren Besen (unhexenhafte Haushaltsreiniger in diesem Fall) feixend im Sechsachteltakt. Was sie orakeln, erscheint halb so schlimm auf einer Chefetage, wo gern und oft Sekt getrunken wird.

Die Inszenierung fängt sich in ihrer eigenen Fessel. Wolfgang Gussmann hat ein Einheitsbühnenbild von schöner aseptischer Scheußlichkeit erstellt, einen Raum, der die Szene einschachtelt mit kupferfarbenen Reliefwänden, in denen hohe Türen für jeden Auf- und Abtritt geöffnet werden müssen. Damit steht die Regie unter dem Diktat der Türen. Um eine Bühnenmusik einzulassen, den Marsch beim Einzug des rechtmäßigen Königs Duncan, ist eine Tür aufzumachen. Der König, der ermordet werden soll, küsst der ehrgeizigen Lady Macbeth die Hand. Das Personal der fünfziger Jahre trägt Anzug mit Krawatte oder Kostüm. Zeichenhaft eintönig ist das Mobiliar: Sitzungsstühle und als Thron ein Sessel, mit dem Homoki ein bisschen Regie führen kann, wenn der jeweilige Chef darin Platz nimmt oder auch steht, wie die Lady, besessen von der Wollust der Macht.

In Reihen sitzend, singen die gedungenen Mörder dem Macbeth und seiner Gattin vor, wie sie den Banquo umbringen wollen. Sie gähnt, auch er langweilt sich. Nicht die Verlegung der Story in eine andere Zeit stört, sondern deren Eintönigkeit. Man stelle sich die Flüsterchöre bei Verdi vor, wie sie in Gruppen aus verschiedenen Richtungen kommen, um sich vor der großen Szene des Banquo im Dunkeln zu verstecken. Der einsame Todeskandidat weiß, dass Gefahr lauert, denn in einer "solchen Nacht", so erinnert er sich, wurde Duncan ermordet, sein Herr. Bei Andreas Homoki verhalten sich die Männerriegen wie ein Tribunal aus Arbeitnehmern, stehen einzeln auf, entledigen sich ihrer Jacketts, stecken die Lesebrillen in die Brusttaschen der Oberhemden - und vernichten mit dieser Optik die tragische Abschiedsarie des Banquo (sehr engagiert: Alexander Teliga). Dessen Sohn Fleance schnippelt an einer Krone, einem seltsam anachronistischen Stück angesichts der Beobachtung, dass sein Vater nun in der Firma eines offenbar wichtigen Dokumentes beraubt wird und darauf einen Herzanfall erleidet. Will sagen: Mobbing kann töten. Der am Boden liegende Banquo aber wird noch gebraucht, um den Macbeth beim Bankett als Geist zu erschrecken. Neben dem Sekt, der nur den sitzenden Herrn zusteht, wird im zweiten Finale Sozialkritik aufgetragen: Die Frauen bringen die Gläser, verschwinden durch die Pforten und kehren zurück, um neben ihrem Choreinsatz Partyhäppchen anzuliefern.

Nun kann nicht mehr viel kommen. Die Hexen verwandeln sich in ein Stenotypistinnen-Kollektiv, das im Takt die Beine übereinander schlägt. In dieser Atmosphäre verwundert es nicht, dass die Geistererscheinungen mit ihren doppeldeutigen Prophezeiungen sich durch Telefonstimmen kundtun. Viele Telefonapparate baumeln vom Schnürboden herab. In ihrem Sessel quälen sich Macbeth und seine Frau - erotische Abhängigkeit! - unbeholfen mit angedeutetem Geschlechtsverkehr, während sie über neue Bluttaten duettieren. Die ganze Belegschaft sieht zu, wenn die Lady in ihrem krampfartigen Waschzwang wandelt. Nicht einmal dem Wahnsinn ist Alleinsein vergönnt. Plaketten mit grünen Bäumchen am Revers, vertreten die Kollegen jene Soldaten, die sich bei Shakespeare-Verdi mit Zweigen tarnen. Macbeth stirbt an einem falschen Bruderkuss. Der Nachfolger Malcolm sträubt sich nur wenig, den Sessel und die Macht zu okkupieren. Es gibt wieder Sekt.

Homoki will vorführen, wie Weggefährten einander überall aus dem Weg räumen können. Seine Maßnahme der Übertragung aber beschneidet die Möglichkeiten seiner Fantasie total. Das Unheimliche, Fantastische, das Verdi mit dem düsteren, schottischen Gewissensdrama komponiert, bleibt verborgen. Gezeigt wird eine Allerweltsfassade. Chefdirigent Michail Jurowski, der auf der Pressekonferenz unter Leitung des Intendanten Udo Zimmermann von der hervorragenden "Atmosphäre im Theater" schwärmt, einer offenbar beneidenswerten Zusammenarbeit, hat der Partitur intimere, größere, härtere und zärtlichere Klänge abgelauscht und realisiert sie mit dem Gewandhausorchester. Streicher und Posaunen als Charakteristika. Die Chöre der Oper Leipzig kommen zu erstklassiger Entfaltung, während den Solisten das aufgedrückte Regiekonzept nicht bekommt. Andrzej Dobber in der Titelrolle überragt Vlatka Orsanic als Lady, der Macduff des Victor Sawaly trauert mit sensiblen Tenor um seine Familie.

Andreas Homoki ist designierter Nachfolger Harry Kupfers als Chefregisseur der Komischen Oper Berlin. Auf Grund von Erfolgen. Bleibt zu hoffen, dass sie ihm wiederkehren und seine Ästhetik nicht in Gleichmacherei verfällt.

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