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Kultur: Körperwelten

Und es funktioniert doch: Dieses seltsamste Philharmoniker-Programm seit Menschengedenken, das mit seiner kunterbunten Mischung aus barocker Kammermusik, Moderne und spätromantischem Orchesterbombast auf den ersten Blick wie von Kent Naganos DSO-Experimenten abgekupfert wirkt - es entwickelt überraschend schnell seine eigene Konsequenz. Nämlich genau in dem Moment, in dem das ganze philharmonische Orchester samt seinem Dirigenten Jonathan Nott im Dunkel versinkt und der Spot die Blicke auf den Orgelbalkon lenkt, wo ein vierköpfiges Gambenensemble den silberdrahtfeinen Dialog einer Purcell-Fantasie zu spinnen beginnt - als hätten die stehenden, raumfüllenden Klangschwaden von György Ligetis "Atmosphères" dieses kostbare kleine Stück Gewirk nur überlagert.

Und es funktioniert doch: Dieses seltsamste Philharmoniker-Programm seit Menschengedenken, das mit seiner kunterbunten Mischung aus barocker Kammermusik, Moderne und spätromantischem Orchesterbombast auf den ersten Blick wie von Kent Naganos DSO-Experimenten abgekupfert wirkt - es entwickelt überraschend schnell seine eigene Konsequenz. Nämlich genau in dem Moment, in dem das ganze philharmonische Orchester samt seinem Dirigenten Jonathan Nott im Dunkel versinkt und der Spot die Blicke auf den Orgelbalkon lenkt, wo ein vierköpfiges Gambenensemble den silberdrahtfeinen Dialog einer Purcell-Fantasie zu spinnen beginnt - als hätten die stehenden, raumfüllenden Klangschwaden von György Ligetis "Atmosphères" dieses kostbare kleine Stück Gewirk nur überlagert. Oder als sei die Musik durch eine rätselhafte Kernspaltung wieder in ihre Komponenten zerfallen: Hier der bloße, weißlich monochrome Knochenbau der polyphonen Struktur, dort das von seinem Bewegungsapparat losgelöste wuchernde Fleisch. Schon nach kaum zehn Minuten beginnt man dank dieser Werkverschränkung tatsächlich anders zu hören, sucht nicht mehr automatisch nach rhythmisch-melodischen Orientierungslinien, sondern nimmt Ligetis autonome Eroberung von Raum und Farbe wahr.

Geradezu schockierend raumgreifend klingt der erste nichtendenwollende Flötenton des "Lontano" nach diesem ersten Purcell-Interludium, wie eine triumphale Inbesitznahme der orchestralen Klangdimension, herrlich vital, frech und lärmend die "San Francisco Polyphony" im direkten Anschluss an die Gamben-Konversation. Dass die Konfrontation vor allem Ligetis Stücken zu Gute kommt und Purcell eher als Kontrastfolie zu Moderne benutzt wird, muss man freilich verschmerzen - in der Philharmonie dringt der näselnd-süße Gambenton zwar gut durch, verliert jedoch alle musikantische Erdverbundenheit und ist von Vornherein dazu verurteilt, ätherisch zu sein. Nach dieser knappen Stunde Gehörsensibilisierung hätte man vermutlich selbst die Ouvertüre zur "Schönen Galathee" als rühmliches Ereignis wahrgenommen und in ihre Komponenten zerlegt. Statt dessen gab es jedoch noch "Also sprach Zarathustra", von Nott mit klarem Blick für den großen Formverlauf ganz auf spektakuläre Klanglichkeit der Strausschen Instrumentierungsfinesse hin dirigiert. Was sympathisch ist, weil jedes wilhelminische Aufpumpen dabei draußen vor bleibt und der "Zarathustra" so beinahe als saftiges Proms-Highlight durchgehen könnte. Von Ligeti aber soll es mit Nott bald noch mehr geben. Wir warten schon.

Jörg Königsdorf

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