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Kultur: Kolonialgeschichte: Ein König als Oberhalunke: Wie Leopold II. den Kongo ausbeutete und das Verbrechen schönredete

So riesig ist das Zentral-Afrikamuseum im Brüsseler Vorort Tervuren, dass es selbst mit einem Weitwinkel-Objektiv kaum auf ein Foto zu bekommen ist. Zwischen ungezählten Kunst- und Kultgegenständen des schwarzen Kontinents informieren die Belgier hier über ihre Kolonialgeschichte.

So riesig ist das Zentral-Afrikamuseum im Brüsseler Vorort Tervuren, dass es selbst mit einem Weitwinkel-Objektiv kaum auf ein Foto zu bekommen ist. Zwischen ungezählten Kunst- und Kultgegenständen des schwarzen Kontinents informieren die Belgier hier über ihre Kolonialgeschichte. König Leopold II. hätte nichts daran auszusetzen. Genau wie Seine Majestät die Landnahme des Kongo gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts politisch "verkaufte", dokumentiert die Ausstellung die "Befreiung" Zentralafrikas vom Joch arabischer Menschenhändler. In Vitrinen zeugen zerbrochene Ketten und Fußeisen von den "Kreuzzügen gegen die Sklaverei".

Was tatsächlich im Kongo geschah, ist längst publiziert worden. Aber nie zuvor hat jemand das grauenvolle Geschehen im Herzen Afrikas so umfassend und detailliert recherchiert wie Adam Hochschild. In seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch "Schatten über dem Kongo" beleuchtet der amerikanische Journalist Motive und Hintergründe der Kolonisation und zeigt, mit welch ausgeklügelter Propaganda Leopold II. seine Ziele verfolgte.

Zu Beginn des Buches befinden wir uns im Frühjahr 1871. Henry Morton Stanley, dessen erstaunliche Biografie Hochschild skizziert, bricht auf, um das Kongobecken zu erforschen. Während er auf seiner Expedition ist, lamentiert viele tausend Kilometer weiter der belgische König Leopold II.: "Belgien zieht keinen Nutzen aus der Welt." Vergeblich versucht er, Spanien die Philippinen abzukaufen. Auch bei Holländern und Portugiesen, die sich längst Kolonien gesichert haben, kommt er nicht zum Zuge. Bleibt die Hoffnung, ob sich "in Afrika etwas machen lässt". Der König gründet die "Internationale Gesellschaft des Kongo", in der er selbst Großaktionär ist.

Als Henry Morton Stanley 1879 zum zweiten Mal in den Kongo fährt, reist er bereits im Auftrag des belgischen Königs. Die Expedition wird ein voller Erfolg. Die "Missionare des Handels", wie sie Stanley nennt, überreden rund 450 Häuptlinge zur Unterschrift eines Vertrages, den sie nicht einmal lesen können. Als Gegenleistung für eine Landfläche - so groß wie das Gebiet zwischen Zürich, Moskau und der Zentraltürkei - bekommen die Stammesfürsten bunte Uniformen, Stoffbahnen und ein paar Flaschen Branntwein.

Dass die "Internationale Gesellschaft des Kongo" die Arbeitskraft der Eingeborenen gleich mit "gekauft" hat, merken die Häuptlinge erst, als die Bewohner des Kongo den neuen Herren immer mehr Elfenbein abliefern müssen. Des reibungsloseren Ablaufs wegen kettet man die schwarzen Trägerkolonnen dazu einfach aneinander. Wer aufmuckt, wird ausgepeitscht. Währenddessen poliert Leopold II. in Belgien eifrig an seinem Ruf als "Menschenfreund". Die ersten, die Ende 1883 "das wohltätige Unternehmen für ein barbarisches Volk" anerkennen, sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie dabei zu Werke gegangen wird, beobachtet der vierzigjährige Amerikaner George Washington Williams auf seiner Kongo-Reise im Jahre 1890. In einem zwölfseitigen Offenen Brief an den König prangert er an, wie grausam die neuen Herren mit den Eingeborenen umspringen. Nicht nur, um sie zur Arbeit zu zwingen. Da werden Menschen als lebende Zielscheiben benutzt, Frauen vergewaltigt, Babys erschlagen.

Leopold II. spielt herunter, lenkt ab, lügt weiter. Alles geschehe nur, "um diese unbedarften Menschen von ihrem Müßiggang zu erlösen", verkündet er. Bald wird eine neue, ungleich reichere Einkommensquelle als das Elfenbein im Kongo entdeckt: Kautschuk. Wie aber zwingt man Menschen, in den Dschungel einzudringen, um den Saft aus den Ranken zu sammeln? Man kann sie schlecht aneinander ketten. So werden Frauen als Geiseln für ihre arbeitenden Männer genommen, die sie später vom ihrem "Lohn" zurückkaufen dürfen. Wen die chicotte, jene scharfkantige Waffe aus Flusspferdhaut nicht mehr antreiben kann, wird erschossen. Zum Beweis, dass die Munition "sachgerecht" verwendet wurde, muss eine abgeschnittene Hand abgeliefert werden. Eine Notiz aus dem Jahre 1896 registriert, dass an einem einzigen Tag 1308 abgeschlagene Hände übergeben wurden.

Von all dem weiß der Brite Edmund Dene Morel nichts, als er Ende des vergangenen Jahrhunderts im Auftrag seiner Liverpooler Reederei die Schiffsladungen im Hafen von Antwerpen überprüft. Der junge Mann wundert sich über "Unmengen von Vollpatronen und Tausende von Gewehren sowie Zündhütchenbüchsen", die in den Kongo transportiert werden. Die in den Büchern deklarierten "Handelswaren" findet er nicht. Seine schreckliche Entdeckung fasst Morel in einem Satz zusammen: "Ich war auf eine Geheimgesellschaft von Mördern mit einem König als Oberhalunken gestoßen."

Leopold II. kommt in Bedrängnis - und setzt eine Untersuchungskommission ein. Doch selbst die vom König sorgsam erwählten, wohl auch "gekauften" Mitglieder sind angesichts der nun ans Licht gezerrten Tatsachen zu schockiert, um bei weiteren Vertuschungsmanövern mitzumachen. 1908 verkauft Seine Majestät alle Besitztümer im Kongo an den Staat Belgien. Der beutet das Land - wenn auch weniger blutig - ähnlich profitträchtig aus wie zuvor.

Als der Kongo 1960 unabhängig wird, gibt es unter 5000 leitenden Angestellten im öffentlichen Dienst nur drei Afrikaner. Lediglich 30 Afrikaner in der gesamten Region haben zu diesem Zeitpunkt einen Hochschulabschluss. Derart für die Zukunft gewappnet, entlässt der belgische König Baudouin das kongolesische Volk in die Freihheit.

Noch 1975 trugen den Kongo betreffende Dokumente in belgischen Archiven bisweilen den Stempel: "Ne pas à communiquer aux chercheurs" (für Wissenschaftler gesperrt). Auch die hat Adam Hochschild neben ungezählten Zeitungsartikeln, Tagebüchern, Briefen und den wenigen erhaltenen Protokollen von Eingeborenen für seine Arbeit studiert. Wie Adam Hochschild aus der ungeheuren Fülle des Quellenmaterials ein Geschichtswerk formen konnte, das sich spannender liest als manch preisgekrönter Politthriller, zeigt sein brillantes essayistisches Können. Ein besseres Buch über den Kongo kann nicht geschrieben werden.

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