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Kultur: Koloraturen, bis das Eis schmilzt!

Das Rossini-Festival im italienischen Pesaro präsentiert eine spacige „Semiramide“, Juan Diego Florez als „Comte Ory“ und viel Plüsch für „Adina“

Ihr Held ist DJ Bobo, ihr Hit heißt „Chihuahua“. Sie pfeifen, singen, summen ihn am Strand von Pesaro, da, wo zwischen den aufgespannten Sonnenschirmen nicht mal mehr ein Strohhalm Platz hätte. Oder am „wilden“ Strand von Fano, wo diejenigen brutzeln, die keine zehn Euro für Liegestuhl und Sonnenschirm berappen wollen. Sicher nicht die geeignete Zielgruppe für Rossinis Opern „Le Comte Ory“, „Adina“ oder „Semiramide“, möchte man meinen – dabei entspricht die futuristische Bühnenausstattung beispielsweise der „Semiramide“, der wichtigsten Neueinstudierung der diesjährigen Rossini-Festspiele in Pesaro, zweifellos dem TV-geprägten Geschmack; und Juan Diego Flórez als schräger Comte Ory wäre nicht nur in Italien durchaus Werbespot-tauglich. Und besitzt nicht die dritte Pesaro-Neuproduktion dieses Jahres, Rossinis Einakter „Adina“, all das, was europäische Kids an Pop und Soap schätzen: Recyling (aus früheren Melodien des Komponisten), leichte Reproduzierbarkeit, Happy End? Der berühmteste Sohn der Stadt Pesaro wusste mit der Methode des self-borrowing, des Verpflanzens alter Melodien in neue Werke, ebenso genial umzugehen wie einst Georg Friedrich Händel und heute Dieter Bohlen.

Was woher stammt, können Kenner und Liebhaber der „kritischen Rossini-Ausgabe“ entnehmen: Die wird, mit Akribie und Euphorie, mit Hilfe von Sponsoren und einem Freundeskreis, der von Gaggenau bis Yokohama reicht, durch die Fondazione Rossini in Pesaro wissenschaftlich aufbereitet. Die Editionsarbeit leitet Philip Gossett; der künstlerische Direktor ist Alberto Zedda, jener Dirigent, der jüngst an der Deutschen Oper „Semiramide“ dirgierte. Wie in Berlin, so wurde auch jetzt in Pesaro das Werk nach der neuen Kritischen Rossini-Ausgabe aufgeführt, mit einer Arie, die Rossini wohl selbst nie in seinem Leben hörte. Die Besetzung in der hässlichen Palafestival-Halle war nahezu dieselbe wie in Berlin. Anstelle von „Magier“ Alberto Zedda dirigierte die aufwendige Produktion in Pesaro aber Carlo Rizzi. Sängerfreundlich war er allemal, jedoch das Orchestra Sinfonica de Galicia hat man schon rhythmisch exakter gehört.

In der „Raumschiff-Enterprise“-Ausstattung William Orlandis findet man hier eine Ästhetik vor, wie man sie sich konträrer zur puristischen Berliner „Semiramide“ wohl nicht vorstellen kann. Das Priester-Personal ist raumfahrtgeeignet gestylt und trägt weiße Glatthaarperücken. Im Regiekonzept von Dieter Naegi dräut allgegenwärtig das Orakel: riesige Zufallsgeneratoren und Monitoren à la „Tagesschau-Korrespondenten-Netz“ flackern im Hintergrund der Bühne.

Für die Solisten gelten musikalisch vor allem die Parameter: höher, schneller, länger. Das überlange Aushalten eines Spitzentons ist Maxime. Erklärter Publikumsliebling, wie in jedem Jahr, war wieder die Mezzosopranistin Daniela Barcellona, diesmal als Arsace mit atemberaubender Verzierungstechnik. Geradezu hysterisch die Reaktion aus dem Zuschauerraum nach ihrer Arie „La speranza più soave“.

Mit Spannung darf man in dieser Rolle Eva Podlès beim Berliner Rossini-Festival erwarten; sie wird in der Hauptstadt zum Saisonstart ab 31. August die Partie von Semiramides Sohn Arsace übernehmen.

Was Opernfans als androgynen Kick bei Mezzosopranen goutieren, mögen sie scheinbar andersrum überhaupt nicht – wenn beispielsweise Juan Diego Flórez sich als „Nonne“ geriert und gar die dazugehörigen, vermeintlich weiblichen, Gesten mitliefert. In „Le Comte Ory“ sieht man im rasanten Regiekonzept von Luis Pasqual den Tenor zunächst in seiner „Dienstkleidung“, also im Frack, so wie man ihn aus Bellini- und Donizetti-Opern kennt, mit Champagnerflaschen und Billardtisch, den Relikten eines ausschweifenden Lebens.

Doch, oh wundersame Wandlung: Aus jenem Wüstling wird, so wollte Librettist Eugène Scribe, durch die Liebe einer Frau und mit Hilfe einiger an „Charlies Tante“ gemahnender Szenen, ein frommer, kontemplativer Mensch. Mit sichtlicher Spielfreude agierten in dieser „Patchwork“-Oper nun nicht nur Flórez, dessen Stimme an Nuancierungsfähigkeit sogar noch dazu gewonnen hat, sondern auch der unverwüstliche Rossini-Bariton Alastair Miles, die sanftstimmige Stefania Bonfadelli sowie die agile Marie-Ange Todorovitch. Mit Schwung und Elan musizierte das Orchestra del Teatro Communale di Bologna unter Jesús López Cobos.

Diejenigen unter den aus aller Welt angereisten Opernfans, die der Ausstattungsästhetik und der akribischen Komplettierungswut der Musikologen bei „Semiramide“ oder den Inszenierungskapriolen beim „Comte Ory“ etwas befremdet gegenüberstanden, wurden mit der Wiederaufnahme von „Adina“ versöhnt: kurz, mit Happy End, voll zuckrig-süßer Oboentöne – und in historisierender, schwülstig-roter Ausstattung. Die einaktige musikalische Farce um eine Entführumg ins Serail mit dem immer noch faszinierenden Tenor Raoul Gimenez und der ihre Cavatinen betörend schön singenden Joyce Di Donata unter Dirigent Renato Palumbo stellte wirklich alle – auch die jungen Leute im Publikum – zufrieden: Danach blieb genügend Zeit, um am Strand noch ein Eis essen zu gehen.

Noch bis zum 22. August. Im nächsten Jahr stehen die Rossini-Opern „Tancredi“, „Elisabetta“ und „Mathilda di Shabran“ in Pesaro auf dem Programm. Informationen im Internet unter: www.rossinioperafestival.it

Dagmar Zurek

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