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Feiern im Kreis der Familie.

© Imago

Kolumne Feste feiern (4): Ein Drama namens Familie

So viel Feiertage in so kurzer Zeit gibt’s nur einmal im Jahr, nämlich jetzt. Ein guter Anlass, das Feiern selbst abzufeiern, im Allgemeinen wie im Besonderen.

Die Familie sucht man sich nicht aus. Es ist eine Zufalls-, Zweck- und Zwangsgemeinschaft. Man wird in sie hineingeboren, ohne vorher gefragt worden zu sein. Man muss das Beste draus machen. Besonders an Feiertagen.

Weihnachten soll besinnlich sein, eine stille Nacht, in der leise der Schnee rieselt, während bitteschön aus der Ferne sanftes Kirchglockengebimmel herüberweht, das den Beginn der Mitternachtsmette verkündet. Silvester ist der Gegenentwurf, das Yin zum Yang. Wenn die letzten Sekunden des alten Jahres wie bei einer Mondlandung von zehn bis null heruntergezählt werden, und die Ankunft des neuen Jahres schließlich jubelnd begrüßt wird, kann es gar nicht laut genug zugehen.

Weihnachten, das angebliche Friedensfest, bleibt selten friedlich. Wobei der Ärger meist im Detail beginnt. Mit dem geschenkten Schal, über den sich der Großvater nicht freut. Mit den Enkeln, die keine Lieder singen, kein Gedicht aufsagen wollen, bevor die Bescherung anfängt. Oder mit der Tanne, über die sich die Tante ärgert, weil sie schiefer als die letzte im Wohnzimmer steht. Und war früher nicht sowieso mehr Lametta? Jede Verfehlung führt zu Verdruss, wofür jeweils mindestens ein Verwandter die Verantwortung tragen muss. Schnell zerbröselt die Harmonie, zurück bleiben Verbitterung und ein trockener Geschmack im Mund, der von der Gans stammen muss, die wieder zu lange im Ofen war, wieder nicht oft genug begossen wurde. Je größer das Fest, desto mehr Potenzial hat es auch, sich zum abendfüllenden Drama auszuwachsen, mit fließenden Übergängen zwischen Slapstick und Tragödie.

Diese ganzen seltsamen, sturen und skurrilen Leute

Silvester ist nicht besser. Es endet meist freudlos, nicht im Familiengezänk, sondern mit einer existenzielleren Krise. Auch hier gilt es die üblichen Standardsituation zu überstehen, in denen die Emotionen schnell eskalieren. Der Pfannkuchen, bei dem der Onkel schon wieder auf Senf beißt, während sich alle anderen über Marmelade freuen. Das Bleigießen, aus dessen unschön zerplatztem Ergebnis auch bei allerbestem Willen für die Nichte keine rosige Zukunft herauszulesen ist. Und das rituelle Anstoßen um Mitternacht? Dafür gibt es entweder zu wenig Gläser oder zu warmen Sekt und manchmal auch beides zusammen.

Im Rausch des Übergangs kündigt sich bereits der Kater vom Morgen danach an. Keine Droge dieser Welt kann über die grundsätzliche Erkenntnis hinwegtrösten, dass es auch im neuen Jahr weitergehen wird wie vorher. Nur dass man jetzt erst einmal zwischen lauter Betrunkenen auf einer kalten Straße steht und von Glück reden kann, wenn man sein Bett erreicht, ohne auf dem Weg dorthin von einem Böller getroffen zu werden.

Klingt das alles ein wenig zu pessimistisch? Mag sein, es handelt sich um ungeordnete Gedanken zwischen den Jahren. Eigentlich gibt es nichts Großartigeres als die Familie, deshalb steht sie nach Artikel 6 des Grundgesetzes auch „unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“. Gerade dass man sich seine Verwandten nicht ausgesucht hat, macht sie unschlagbar. Wie hätte man sonst diese ganzen seltsamen, sturen und skurrilen Leute finden sollen.

Bisher erschienen: der Feiertag, der Feierabend und die Betriebsfeier.

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