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Das Krawallmodell zum Sozialidyll. Al Bundy und Peggy in der 90er-Sitcom „Eine schreckliche nette Familie“.

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Kolumne Heilige Familie (5): Die schrecklich netten TV-Familien

Weihnachtszeit ist Familienzeit. Höchste Zeit, sich über das Phänomen Familie ein paar Gedanken zu machen. Diesmal: Fernsehfamilien.

Gute Nacht, John-Boy. Gute Nacht, Elizabeth. Gute Nacht, Jim Bob. Gute Nacht, Mary Ellen.

Wer sich auf niedersächsischen Schulhöfen der späten siebziger und frühen achtziger Jahre mal was Fieses an den Kopf werfen wollte, bedachte tranige Mitschüler gern mit diesen Sprüchen. Sie waren dem Abendritual der Fernsehfamilie „Die Waltons“ entliehen. Besonders der Killer „Gute Nacht, John-Boy“ erntete zuverlässig genervtes Augenrollen.

Bekloppt, die Amis. Was sollen das für Namen sein: Jim Bob? John-Boy?

Der war noch dazu so ein softer, irgendwie schleimiger Typ. Ganz aus der Art geschlagen mit seinen Schriftstellerambitionen. Wo doch der Rest der gottesfürchtigen Wirtschaftskrisenfamilie bescheiden und arbeitsam ihr defizitäres Sägewerk betreibt.

John-Boy liebt Opa Sam und Mutter Olivia und die Blue Ridge Mountains. Und zugleich will er hinaus in die Welt. Ein Bildungsaufsteiger, den das Heimweh nach der abgelegten Lebensweise der Vorväter für immer begleiten wird. Und damit eine ideale Projektionsfigur für Babyboomer aus der Provinz. Natürlich haben alle im Dorf die Waltons geliebt. So liebreich und knorrig, wie die waren.

Identifikationsangebot für drei Generationen

„Unsere kleine Farm“ ging dagegen gar nicht. Was für ein Schmonzes. Die Serie mit Ex-„Bonanza“-Star Michael Landon war kitschiger als alle Tier-Familienkracher wie „Flipper“, „Lassie“ und „Fury“ zusammen. Und noch schlimmer als der deutsche TV-Zucker namens „Forsthaus Falkenau“ oder „Familie Dr. Kleist“, um mal ins aktuelle Jahrhundert zu springen.

Was ist das überhaupt – eine Familienserie? Ganz einfach: ein Identifikationsangebot für drei Generationen, das Junge und Alte regelmäßig um das Bildschirm-Lagerfeuer versammelt.

Als Anti-Modell gegen zu viel Sozialidyll auch in satirisch-krawalliger Jux-Version lieferbar. „Familie Feuerstein“, „Die Simpsons“, „Alf“ und die Sitcom „Eine schrecklich nette Familie“ lassen grüßen. Von den großen Intrigen-Spielen der achtziger Jahre gar nicht zu reden: „Dallas“ und „Denver Clan“.

Diversifizierung der Lebensentwürfe

Gegen den Glamour dieser US-Dynastien fielen die frühen deutschen Patchwork-Familiengeschichten durch einen fast schon unangenehm realistischen Touch auf.

Ehegatten sterben, lassen sich scheiden, die Arbeit treibt die Leute fort. Wer schaut schon „Lindenstraße“, „Ich heirate eine Familie“ oder „Diese Drombuschs“, wenn er mit J. R. Ewing barrelweise Bourbon bechern kann? Sehr viele deutsche Klein- und Großstädter, kann man darauf nur sagen.

Bloß gut, dass dann die WG-Familie der Blutsfamilie den Bildschirmplatz streitig gemacht hat. Sieht man mal von Heimatfilmserien wie dem „Bergdoktor“ und den ebenfalls patchworkelnden „Bergrettern“ ab.

Mit der Diversifizierung der Lebensentwürfe erweitert sich das auf Vater, Mutter, Kind und Oma festgelegte Spektrum. Langlebige Sitcom-Wahlverwandtschaften wie „Golden Girls“, „Friends“ und „Big Bang Theory“ erzählen davon.

Gemeinsamkeiten, Fürsorge und Rituale sind nun mal ein unwiderstehlicher Kitt. Das hat die alte Nervensäge John-Boy Walton damals schon kapiert.

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