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Sheryl Sandberg, Nummer zwei bei Facebook.

© Jim Watson/AFP

Rassismus, Antisemitismus, Fake News: Warum Facebooks Versprechen auf Besserung Heuchelei ist

Der Social-Media-Riese befeuert auf seiner Plattform Lügen und asoziales Verhalten. Das belegt eine Studie über das soziale Netzwerk. Die Kolumne Spiegelstrich.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Vor drei Jahren, nach jener Wahl Donald Trumps also, die unter anderem durch Verschwörungstheorien (auf Facebook) und durch russische Propaganda (auf Facebook) herbeigeführt worden war, traf ich Sheryl Sandberg, Facebooks Nummer zwei, während des Weltwirtschaftsforums in Davos, und dann hörte ich Frau Sandberg noch bei zwei Diskussionen zu. Sie sagte: „Wir haben verstanden, wir haben noch einen weiten Weg vor uns, wir lernen, wir stehen am Anfang.“ Dreimal sagte sie diese identischen Sätze innerhalb von sechs Stunden, mit treuem, mit ernstem Blick.

Nichts verstanden, nichts gelernt

In vier Monaten wird in den USA gewählt, und Facebook hat nichts verstanden, nichts gelernt. Die Diagnose, von Andrew Marantz in seinem Buch „Antisocial – Online Extremists, Techno-Utopians, and the Hijacking of the American Conversation“ aufgeschrieben, ist trostlos, beunruhigend, und in Wahrheit sind diese Adjektive viel zu klein: Die Diagnose ist erschütternd. „American Berserk“, so nennt es Marantz.

Facebook gibt misogynen, xenophoben, rassistischen und gewaltverherrlichenden Gestalten und Netzwerken Raum und Macht; es verzichtet auf Kontrolle; im Gegenteil, seine Algorithmen honorieren Lügen und asoziales Verhalten.

„Meinungsfreiheit bringt uns um“, auch dies ist Marantz’ Diagnose, denn „Trolle, bigotte Figuren und Propagandisten sind Experten darin geworden, fanatische Botschaften in reale Politik umzuwandeln“. Die im Internet entstehende verbale Gewalt führt seit Jahren schon zu Attentaten und Amokläufen.

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Ich mochte Facebook und mag die Idee hinter Facebook noch immer, denn ich bin Facebook dankbar. „Ihre Visionen führten zu einem verschwommenen Utopismus: Sie wollten Menschen verbinden, uns alle einander näher bringen und so die Welt zu einem besseren Ort machen“, das schreibt Marantz über die Gründer der sozialen Medien.

Facebook ist ja für Menschen wie mich erfunden worden: Weil ich a) oft umgezogen bin und b) in jüngeren Jahren nicht besonders sorgfältig beim Pflegen von Freundschaften war, habe ich mich irgendwann gefragt, wo sie denn bloß geblieben waren: die Freunde aus all den Jahren. Facebook verband uns zum zweiten Mal, brachte uns zueinander zurück; und einige dieser Freunde arbeiten übrigens bei Facebook und sind kluge, ernsthafte Leute.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Jedoch: Ich misstraue und fürchte Facebook. Das liegt an Mark Zuckerberg, Facebooks Nummer eins, der einer der gefährlichsten Männer unserer Zeit ist. So wie einstmals die Manager der Zigarettenindustrie und danach die Manager von Kohlekraftwerken vernebelt Zuckerberg Erkenntnisse, verspricht nach Kritik trotzdem Sorgsamkeit und tut dann nichts – immer nur Pathos, keine Konsequenz, bloß kein verdammter Dollar weniger. Wer so viel Macht hat und so wenig Gefühl für Verantwortung, schreit nach Regulierung.

Die Bürgerrechtsbewegung wird von der Firma sabotiert

Eine Studie, über zwei Jahre hinweg im Auftrag von Facebook erstellt, belegt nun auf knappen 100 Seiten, wie sehr die Firma Rassismus und Antisemitismus befeuert und Bürgerrechtsbewegungen sabotiert; wie sehr sie nicht die „Redefreiheit“ schützt, wie Zuckerberg so gern sagt, sondern bloß die Redefreiheit der Mächtigsten, der Trumps, und wie heuchlerisch Facebook Besserung gelobe, nur um wieder ein paar Jahre lang weitermachen zu können.

In den vergangenen Tagen riefen große Konzerne zum Anzeigenboykott gegen Facebook auf. „Die kommen schon zurück“, sagte Zuckerberg Mitarbeitern. Er schickte Sandberg auf diplomatische Mission zu jenen Firmen, und Sandberg schrieb, Facebook stehe „am Anfang der Reise, nicht am Ende“, und es werde zunehmend klar, „dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben“. Sie hätte auch schreiben können (und wir sagen es hier im Feuilleton auf die vornehme amerikanische Art): F*** you all.

Klaus Brinkbäumer

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