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Kultur: Komik und Koma

Gert Voss und Ignaz Kirchner verwandeln Neil Simons „Sunshine Boys“ im Wiener Akademietheater in eine triumphale Komödie des Alterns

Der Anfang ist verblüffend. Aufgeklappt wie ein Triptychon in Azur steht eine Blue-screen auf der Bühne und vor ihr ein Pferd. Kein realer Gaul, sondern ein übergroßes Turnpferd, daneben am Boden ein mächtiger Sombrero und Plastiktüten mit der Aufschrift „Frumpies“. Plötzlich tritt ein älterer Herr in dunkelblauem Anzug mit weißem Perückenhaar durch eine Tür in der blauen Wand und sagt: „Mein Name ist Heinz Stein. Ist hier das Casting für Frumpies-Tortilla-Chips?“

Ein Aufnahmestudio. Im Zuschauerraum des Akademietheaters der Wiener Burg sitzt ein Regisseur, der die Szene nun per Lautsprecher kommandiert. Und Herr Stein, im Outfit eines pensionierten Bankiers, dem freilich eine Nummer „28“ am Revers pappt, er soll bitte den Sombrero aufsetzen und das Pferd erklimmen und zu hoppelnden Reitbewegungen „Ich hasse Frumpies-Tortilla-Chips!“ in die Kamera schreien und in reitender Rage, weil er die Dinger nun alle „vernichten“ will, eine Tüte Tortilla-Chips auffressen, und das im Rhythmus zur Melodie von „Speedy Gonzales“. Für Herrn Stein, der sich verzweifelt bemüht, obwohl er als diätbewusster Rentner Hüttenkäse mit Kürbiskompott bevorzugt, wird das Casting, was sonst, ein Reinfall. Aber Heinz Stein war einmal ein Großer. Ein großer Clown.

Der nächste Kandidat, Nummer „130“ im karierten Anzug mit rosa Hemd, scheint etwas weniger soigniert. Graues Krisselhaar mit fetten weißen Koteletten, eulenhafte Hornbrille, ein geschwärztes Menjoubärtchen, der Typ einer selbstbewussten monumentalen Knallcharge, das Agile und das Senile mit breitem Charme und einer etwas schleimigen Würde vermischend. Er heißt Willi Krak, will gleich auch den Namen des Regisseurs und alles besser wissen: Wer, ruft Krak, kennt nicht „Frankies“ Tortilla-Chips! Solche Verdreher hat er nicht nur auf der Zunge, auch in den Beinen: Ganz schwungvoll besteigt er das Pferd, allerdings mit dem Rücken zur Kamera, darauf folgt dort oben auf dem Bock ein Ballett der Glieder und Gebärden, die Plastiktüten platzen, den Reiter in einer Wolke von Tortillachips packt zum Speedy-Gonzales-Takt ein rasender Rappel – und auch er, der alte, durchgedrehte Willi Krak, war vor Jahren einmal ein großer Komiker.

Und ist es, in Gestalt des Schauspielers Gert Voss natürlich noch immer. Schon Ignaz Kirchner als Kollege Stein war zum Lachen und Weinen, er zeigte die kurze Komödie seiner Demütigung als vergleichsweise sanften Slapstick, am Rande der Verrückung. Voss dagegen ist der wahre Wahnsinn, frenetisch witzig, traurig, menschlich. Sein Fünfminutenkampf um eine womöglich letzte Winzrolle im Werbespot heißt: Krieg. Er zerfetzt die Chiptüten mit dem unaussprechlichen Namen erst tölpelhaft, dann jäh im Hass – ein jagender Kampf mit den Dingen und dabei gegen sich selbst: Blitzkrieg eines Verlierers, der sich für den moralischen Sieger hält. Wenigstens hat er es „ihnen“ gezeigt.

Dieser überraschende Anfang von Neil Simons „Sunshine Boys“ in Wien wirkt fulminant. Vor allem steht er nicht im Stück. Dabei ist das Original längst Legende: vor 30 Jahren am Broadway uraufgeführt, bald darauf in Berlin mit Martin Held und Bernhard Minetti, in München mit Heinz Rühmann und Paul Verhoeven, in Wien mit Helmuth Lohner und Otto Schenk ein Kassenschlager (unter dem Titel „Sonny-Boys“); im Kino später verfilmt mit Walter Matthau und Ed Burns und Mitte der Neunziger nochmal im US-Fernsehen mit Woody Allen und Peter Falk: ein Treffen und Treffer für zwei Schauspieler, die zwischen Trauer und Komik tanzen wie zwischen Kimme und Korn.

Zwei Varieté-Stars von einst, die über 40 Jahre die Sunshine-Boys waren, aber seit 13 Jahren nicht mehr aufgetreten sind (und im letzten Jahr ihrer Karriere schon kein privates Wort mehr miteinander sprachen), sollen für eine Fernsehserie „Das Jahrhundert der Komiker“ noch einmal ihren berühmten Doktor-Sketch spielen. Zwei erloschene, in ihren Talenten wie auch in ihrer Freundschaft und Feindschaft längst erkaltete Vulkane sollen so ein letztes Mal Feuer speien. Neil Simons Pointe ist, dass die beiden in ihrer Stur- und Eitelkeit nicht nur die alte Komikerkollegen-Eifersucht wieder aufleben lassen, sondern auch den Gagapatienten und verrückten Ärzten ihrer Sketches immer ähnlicher geworden sind. Bei den großen Komödianten, von Matthau bis Minetti, wurde das jedes Mal zu einem Stück Selbstironie – und zum Spiel natürlich des traurigen Clowns, der nicht im Altersheim, sondern am liebsten auf der Bühne sterben will, im letzten Rampenlicht. Sunshine – Limelight.

Gert Voss aber, der jetzt in Wien erstmals auch allein Regie führt, hat zusammen mit seiner Frau, der Dramaturgin Ursula Voss, den Komödienklassiker gleichsam auf den Kopf gestellt. Voss hat den Tanz- und Leichtfuss dabei keineswegs vergessen, doch mit neuem Anfang, vielen frei variierten Details und einem wunderbar hinzuerfundenen Schluss sind die Wiener „Sunshine Boys“ fast noch einmal zu einer Uraufführung geworden. Die kokett verbrämte Backstagecomedy entpuppt sich nun viel entschiedener als eine Komödie des Alterns. Und wir lachen bei den Reanimationsversuchen zweier atemloser Altkomiker jetzt weniger übers Künstlerpech als übers: Lebenspech.

So erweist sich, wie einst bei ihren Paarungen in Taboris „Goldberg-Variationen“ und in Becketts „Endspiel“, das zänkisch eifernde Pointenboxen von Ignaz Kirchner und Gert Voss auch als abgründig absurder Existenz-Kampf, versetzt mit hübschen Alterswitzen, Kalauern (Kennst du das Stück „Toupet or not Tou...“), aber grundiert auch vom komödiantisch-katastrophischen Ernst zweier glücklicher Unglücksraben. Vossens Krak beispielsweise sieht in seinem heimischen Verhau am liebsten „Apocalypse Now“ auf Video, murmelt, Spaghetti mit Ketchup mampfend, „schöner Film“, wenn die US-Hubschrauber in Vietnam zur Musik von Wagners Walkürenritt angreifen.

Längst ist da auf Katrin Bracks ingeniös einfacher Bühne die Bluescreen des Anfangs zugeklappt, ihre Rückseite zeigt eine Starfototapete, Folie der Rentnerzimmer , des Schattendaseins der Sunshine-Boys. Kirchner alias Stein verwandelt hier noch den Abstieg in ein Meisterstück der Distinktion, Hans Dieter Knebel behauptet sich als Hilfsagent und Regisseur zwischen den Stars, und Voss alias Krak spielt den Herzkranken auf der Intensivstation Sehnsucht – Komik und Koma ganz nah. Am Ende dann Ovationen.

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