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Szene mit dem Chor und Eric Jurenas als Peter Pan

© Iko Freese | drama-berlin.de

Komische Oper Berlin: Kommt Zeit, kommt Pirat

Die Komische Oper zeigt Keith Warners Inszenierung von Richard Ayres’ Kindermusiktheater „Peter Pan“.

Wenn Peter Pan plötzlich anfängt, die Wand hochzulaufen, und zwar mit dem ganzen Köper in der Waagerechten, dann ist das schon ein ziemlich verblüffender Effekt. Vor allem, nachdem er zuvor – von keinerlei Seilvorrichtung behindert – gerade erst im Kinderzimmer der Familie Darling herumgetollt und dann auf einen Schrank geklettert ist.
Dort muss ihm dann jemand heimlich die Karabinerhaken der Flugeinrichtung an den Sicherungsgurten festgemacht haben, die er schon unterm Kostüm trug. Welcher technische Trick auch immer dahinter steck:<TH>Jetzt jedenfalls hat der Countertenor Eric Jurenas alle Gesetze der Schwerkraft überwunden und wird bald über der Szene schweben. So, wie sich das gehört für die berühmte Geschichte vom Jungen, der niemals erwachsen werden will.
Die Komische Oper hat für ihre Kinderproduktion mal wieder keinerlei Kosten und Mühen gescheut. Seit mehr als zehn Jahren ist man an der Behrenstraße stolz darauf, dass Musiktheater für die ganze Familie hier nicht nur auf Nebenschauplätzen angeboten wird, sondern im großen Saal. Mit voller Orchesterstärke, Solisten des Hauses sowie dem von Dagmar Fiebach formidabel betreuten Kinderchor. Ein Dutzend Namen formen sich zum künstlerischen Team, darunter findet sich ein Choreograf, ein Flug- und Kampfkoordinator sowie ein Spezialist für Videoanimationen.

Die Bühne hat einen Puppenstuben-Charme

Die Fee Tinker Bell ist an der Komischen Oper nämlich ausschließlich als Projektion präsent – was ihr die angemessene magische Aura bewahrt, während Peter Pan ungeachtet seiner Fliegerei eindeutig zur Gruppe der Erdenmenschen gehört. Jede Menge prächtige Kostüme hat Nicky Shaw entworfen, kunterbunt für die Piraten, historisch-viktorianisch für die Londoner Bürgergesellschaft, zu der die Familie der Nimmerland-Besucher Wendy, John und Michael gehört.
In Jason Southgates puppenstubigem Bühnenbild wachsen mehrstöckige Häuser aus Parterre-Fassaden heraus, es gibt eine Eisenbahn-Strecke mit zwei Tunnels, über die nicht nur altmodische U-Bahn-Waggons ruckeln, sondern auch die Schreibtische der Angestellten von Vater Darling, die Riesenbauklötze der Nimmerland-Jungsbande oder auch mal eine Haifischflosse auf Rädern.
Very british wirkt die ganze Optik, charmant verschroben und geistreich anspielungsvoll. In der Tat handelt es sich bei Keith Warners Inszenierung, die am Sonntagnachmittag ihre heftig beklatschte Premiere erlebte, um eine Produktion von der Welsh National Opera Cardiff aus dem vergangenen Jahr. Die Komposition von Richard Ayres dagegen hat ihre Uraufführung schon 2013 erlebt, an der Stuttgarter Oper.

Komponist Ayres schreibt virtuos fürs Orchester

Äußerst fantasievoll und klangfarbenreich weiß Ayres für Orchester zu schreiben. Zumeist bewegt er sich dabei auf klassisch-tonalem Terrain, setzt schräge Töne nur als akustisches Würzmittel ein. Damit knüpfte er eher an die Tradition einer british light music à la Eric Coates an als an seinem großen Landsmann Benjamin Britten, der ja auch viel für Kinder komponiert hat. Wenn es dramatisch wird, lässt Richard Ayres allerdings gerne auch mal die Perkussionisten von der Leine, die dann einen lustvollen Kakophonie-Krach veranstalten. Dirigent Anthony Bramall koordiniert das Treiben auf der Bühne souverän mit dem schmissigen Sound aus dem Orchestergraben.
Für Stimmen zu schreiben, liegt Richard Ayres nicht ganz so sehr, gerade die Frauenstimmen treibt er etwas zu oft ins Hysterisch-Grelle. Andererseits gelingen ihm für den Kinderchor auch knackige Passagen, die kreativ mit traditionellen Liedformen spielen.

Das Happyend bleibt watteweich

Ein paar Durchhänger gibt es in den zwei Stunden Aufführungsdauer allerdings trotzdem, auch weil Lavinia Greenlaws Libretto zunächst recht langsam in Fahrt kommt und sie im zweiten Teil dann unbedingt sämtliche Handlungsstränge der Romanvorlage unterbringen will. Im englischen Sprachraum, wo „Peter Pan“ zum Kernrepertoire der kollektiven Kindheitserinnerungen gehört – wie bei uns „Heidi“, „Pippi Langstumpf“ oder „Jim Knopf“ – würde jedes fehlende Detail sicher schmerzlich vermisst. Für eine Berliner Fassung aber wäre ein verknappender Zugriff zweifellos möglich gewesen. Und sicher auch eine beherztere Modernisierung der so frech und freiheitssehnsüchtig ansetzenden Geschichte von 1902, die dann doch in ein ziemlich wattiges Happyend mündet. Die hauptamtlich um den Nachwuchs bemühten Berliner Bühnen wie Grips, Parkaue und Atze jedenfalls spitzen da normalerweise mutiger zu.
Unter den gegebenen Bedingungen leisten die Solisten hoch Achtbares: Eric Jurenas ist ein pummeliger, aber dennoch mitreißend lebensfroh durch die Szenen fliegenden Peter Pan. Talya Lieberman und Timothy Oliver geben engagiert die Darling-Söhne, Mirka Wagner als Wendy überzeugt in der ihr von den Jungs zugedachten Ersatzmutterrolle.
Mit seinem samtenen Gehrock und der Barockfrisur sieht Ashley Holland mehr aus wie Oberst Ollendorf aus der Operette „Der Bettelstudent“ als wie ein wilder Piraten-Anführer. Und auch vom Temperament her ist sein Captain Hook eher von der gemütlichen Sorte. Eltern, die sich fragen, ob „Peter Pan“ wirklich schon ab sechs Jahren geeignet ist, wie die Komische Oper empfiehlt, dürfte das immerhin beruhigen.

Weitere Aufführungen am 13., 14 und 18. November, am 8., 11., 22. und 26. Dezember sowie im Januar und Februar.

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