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Revolutionsschmonzette. Regisseur von Peter bemüht Beethovens „Fidelio“-Fassung von 1805.

© Marcus Lieberenz / bildbuehne.de

Komische Oper: Kunst ohne Herz: Ein Königreich für ein Pferd

Benedikt von Peter zieht in „Fidelio“ an der Komischen Oper die Summe allen Trashs. Warum gibt es an einem programmatisch so ehrgeizigen Haus niemanden, keinen Intendanten, keinen einzigen Dramaturgen, der Einspruch erhebt und so viel Schlimmes verhindert?

Das Theater schafft sich selbst ab. Ein paar fachgerechte Handgriffe nur, per Bohrer, Hammer oder Kreissäge, alles in sehr realistischen Phonstärken – schon wandert der nächste Wandlüster oder rote Plüschsessel auf den Müll. Und was in Plastiksäcke passt, Vorhänge, Kostüme, Requisiten, Perücken, das fliegt in hohem Bogen in den riesigen Container, der die Bühne der Komischen Oper abendfüllend ziert (Natascha von Steiger). Man kennt solche Trashbilder und Betrüblichkeitsmetaphern, spätestens seit Peter Konwitschnys „Falstaff“-Inszenierung in Graz vor bald zehn Jahren. „Theater war schön“, so lautete damals das Motto jenes ingeniösen End-Spiels über den späten Verdi und das an sich selbst (ver-)zweifelnde Regietheater. Eine durchaus zu Herzen gehende Botschaft und Provokation, damals, weil der gemeine Zuschauer wie der gemeine Theaterschaffende (und Regisseur und Kulturpolitiker) natürlich alles andere bezweckt und im Sinn hat als den Tod des Gewerbes.

Dass dieser längst eingetreten sein könnte, weithin unbemerkt, ist noch eine der handfesteren Schlussfolgerungen aus Benedikt von Peters verheerender „Fidelio“-Regie. Ein Theater jedenfalls, das solches Theater duldet, ja sogar gutheißt, kann buchstäblich nur gestorben sein oder sich – was auf dasselbe herauskommt – als gleichgültig, zynisch und leer begreifen. Die Oper ist tot, gesellschaftlich völlig irrelevant, sowieso viel zu teuer und ästhetisch ein einziger Kropf? Jawoll, genau! Benedikt von Peter kann über Aufklärung, Utopie, Freiheit, Adorno & Co. fließend referieren, hat aber zu Beethoven nichts zu sagen, nichts zum Kunstanspruch, zur anarchistischen Kraft seiner Musik? Mehr von solchen Regisseuren (was kein Problem sein dürfte)!!

In den etwas besseren Momenten des Abends übrigens, wenn die alten Theatergeister auferstehen und gegen ihre Vermüllung und Entsorgung protestieren, sieht das Ganze aus wie lange vor Harry Kupfer und überall in Hinterposemuckel (Kostüme Katrin Wittig): Leonore und ihr zu Unrecht eingekerkerter Florestan mit Schnallenschuh und Rokokoschößchen, der böse Pizarro unterm napoleonesken Dreispitz, die Gefangenen (aus dem gleichnamigen Chor) in Lumpen, die Soldateska in schnittiger Uniform und das niedere Paar, Marzelline und Jaquino, mal als Vorarbeiter und Vorarbeitersflittchen, mal als brave Bürgersleut’. Und auch Meister Rocco, Marzellinens Vater (der unverwüstliche Jens Larsen), hängt sein Fähnchen gern in den Wind, gibt den Polier so gelenkig wie den Kerkermeister aus der deutschen frühromantischen Oper. Utopie ist, wenn ausgerechnet Opas Mottenkiste an der Behrenstraße fröhliche Urständ’ feiert? Revolution ist, wenn Trockeneisnebel wallen, Fackeln qualmen und Fahnenmeere wehen (zu welchem Behufe auch immer)? Und Freiheit wird, Brüderlichkeit wird, Liebe zur Kunst wird wieder neu, wenn der zuständige Minister in einer Kutsche mit lebensechtem Pferd vorfährt und das Volk zum Finale massenhaft in den Saal drängt? Was für eine dämliche, verkehrte, verquaste, behauptete Welt.

Frage: Warum gibt es an einem programmatisch so ehrgeizigen Haus wie der Komischen Oper Berlin niemanden, keinen Intendanten, keinen einzigen Dramaturgen, der Einspruch erhebt und so viel Schlimmes verhindert? Dass Andreas Homoki längst mehr gen Zürich blickt, als seiner Berliner Sorgfaltspflicht nachzukommen, und Barrie Kosky, sein Nachfolger, aus dem Status des Designatus keine echten Verantwortungsgefühle ableitet, mag diese Misere erklären. Das Risiko aber sollte nicht unterschätzt werden. Wenn die Staatsoper ab Oktober im Schillertheater residiert, besitzt die Komische Oper in Mitte ein Alleinstellungsmerkmal. Das kann stark machen, weil es die Aufmerksamkeit enorm erhöht; es kann aber auch schwächen, überfordern, wenn man sich auf den Lorbeeren seiner Tradition weiter auszuruhen gedenkt.

Kunst ohne Herz, Kunst ohne Handwerk? Bei Benedikt von Peter wird ärgerlich viel herumgestanden. Und auch die gewählte Fassung – die von 1805, wonach die Oper eigentlich „Leonore“ heißen müsste, was sich allerdings schlechter verkauft als „Fidelio“ – ist kaum dazu angetan, die Spannung zu steigern. Ein paar Arien und Ensembles mehr, insgesamt mehr Singspielcharakter auch, einige kompositorisch entzückend unausgegorene Stellen, kurz: Die Sache wird umständlicher, hölzerner, ohne dass man je begreifen würde, worin der Gewinn liegt.

In dem Moment, in dem die musikalische Seite sich nun so präsentiert, wie sie sich präsentiert, bleibt von diesem „anderen“ Beethoven nicht viel übrig. Carl St. Clair und das Orchester der Komischen Oper schlagen einen befremdlich ruppigen und struppigen Ton an, als würden sie jede dramatische Empfindsamkeit mit Militanz kontern und sich so alle kritisch-aufführungspraktischen Überlegungen vom Hals halten. Und die Sänger spielen sich nach bewährter Behrenstraßenmanier zwar die Seele aus dem Leib, können stimmlich aber ebenfalls nur bedingt erfreuen: Ann Petersen ist eine kehlig timbrierte, in der Höhe klirrende Leonore, Maureen McKay eine zwitscherige, wenig konturierte Marzelline, Christoph Späth ein bemühter Jaquino, Carsten Wittmoser ein sträflich harmloser Pizarro und Günter Papendell ein sanfter Fernando. Einzig Will Hartmanns Florestan lässt ein wenig Schmelz und ernstes menschliches Leid vernehmen.

Das Theater schafft sich selbst ab? Mit Aufführungen wie dieser gelingt der Komischen Oper dazu ein gewichtiger Beitrag.

Wieder am 1., 9., 23.5. und 27.6.

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