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Kultur: Komm her, küß mich!

Nur wenn sie sich lieben, schalten sie die Kamera ab.Das dürfen sie nicht zeigen.

Nur wenn sie sich lieben, schalten sie die Kamera ab.Das dürfen sie nicht zeigen.Der Junge und das Mädchen und die Performance, die ihr Leben ist.Musik, mit pochendem Beat.Okay, Baby, komm, wir essen Spaghetti, komm her, küß mich, laß mich nie mehr gehn."Gott ist ein DJ", das Stück des 29jährigen Falk Richter, uraufgeführt auf der Studiobühne des Mainzer Staatstheaters, atmet das Lebensgefühl einer Generation, die in einer auseinanderfallenden Welt nach Orientierung sucht, umhüllt von einem Kokon aus Techno und Computerei.Zwei junge Leute auf der Bühne.Er hat als Discjockey in Clubs gearbeitet, am Computer Stimmungen in Klänge transformiert, ein Gott der Technosphäre; sie war Ansagerin von Fernsehclips in einem Musikkanal, bevor ihr Projekt begann: ein Leben als Kunstwerk, der Wohnraum beider im Museum nachgebaut.Eine Kamera schaut ihnen zu und schickt die Bilder ins Internet.Kunst als Realzeit-Abbild, das verborgene Leben wird verwandelt zur Dauervorstellung im Netz.Ein Klick und du wirst zum Darsteller deiner selbst.

Was ist noch wirklich - in unserer Cyberwelt? Wie prägt diese Zeit der Virtualität unsere Vorstellung von Authentizität, wer sind wir noch - jenseits unserer pixelgenauen Reproduzierbarkeit? Ist das Ich mehr als die bloße Summe von Bits und Bytes? Es ist, als stelle Falk Richter die alten Fragen der Jugend neu, nur technisch ebenso aufgerüstet wie die Zeit selbst.Es ist eine Geschichte aus der High-Tech-Welt, zugleich eine philosophische Gegenwartsumkreisung im juvenilen Grundton der 90er Jahre.Richter, bei Jürgen Flimm in Hamburg in die Regielehre gegangen, dann bei Peter Sellars in Los Angeles, hat das Stück wieder selbst inszeniert.Er trifft hier die Stimmungslage seiner Generation: cool, aber unter der smarten Oberfläche auch nachdenklich, deutliche Fragen an unsere Cybergesellschaft und ihr rastloses Treiben richtend.

Aus dem ewigen "Wer bin ich?" ist längst das medial reflektierte "Wen stelle ich dar?" geworden.Folgerichtig ist Richters Inszenierung des im Grunde handlungslosen Stückes die mediale Umkreisung einer fiktiv-realen Lebenssituation.Wir sehen auf Katrin Hoffmanns Bühne das Zimmer-im-Museum, hinten eine große Leinwand, auf der die beiden Akteure kontrollieren können, wie sie sich selber ins Bild setzen, links ein Geräte-Turm.Unendlich viele Strippen verbinden die elektronischen Gerätschaften zur Erzeugung von Musik untereinander und mit einem Computer.Ein ununterbrochener Redeschwall entrinnt den beiden Figuren, so virtuell wie das szenische Konstrukt insgesamt.Die Figuren, deren Entindividualisierung Richter schon in den Rollennamen Er und Sie verdeutlicht, aber auch in der Austauschbarkeit der Generationserfahrungen, wechseln rasch die dialogisch-performativen Ebenen: Erinnerungen und Träume schweben durch die Worte, jeder redet für sich allein, dann wieder Alltagsdialoge, kurz einschießendes Liebesgeflüster: Vorgänge für Publikum und Kamera.Stets bleibt ungewiß, ob die Worte sich auf Wirklichkeit beziehen oder erst im Augenblick des Sprechens zu imaginärer Wahrheit werden.

Stück und Inszenierung: ein Stimmungsbild aus den Sphären des Jugendkults zwischen Techno und Cyber, zwischen e-mail und Derrida.Sinn und Sinnlichkeit einer Jugend, die sich verschleudert im Rausch des Selbstgenusses und in der Gewißheit der Kraft, die aus den jungen Körpern drängt.Augen, Ohren, Haut sind die Sensoren, die die zersplitterte Außenwelt aufsaugen, individuell zusammensetzen, in Musik und computergenerierte Erlebnisbilder verwandeln.Großer Beifall auch für die Schauspieler Heidi Züger und Frank Röder, die mit kontrolliertem Furor sich der vielfach gebrochenen Rollen bemächtigen.War Gott nicht tot? Jetzt dürfen wir ihn uns als einen DJ denken.

ECKHARD FRANKE

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