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Kommentar: Dalís in Weimar

Breit hingelagert ist das Haus der Frau von Stein in Weimar, ein Schmuckstück der Stadt und ein literaturhistorisches Monument dazu. Doch welcher Weimar-Tourist weiß noch von Goethes schwärmerischer Liebe zu der reife(re)n Dame? Und wer wollte deshalb gar ihr Haus sehen? Bernhard Schulz über eine traurige Provinzposse.

Die Kommune jedenfalls, ganz im Gegensatz zum properen Stadtbild offenbar bettelarm, will die Liegenschaft loswerden – und hat dafür einen spanischen Interessenten gefunden. Den aber treibt nicht etwa die Liebe zur deutschen Klassik, sondern die zu seinem Landsmann Salvador Dalí. Mit einer Kollektion von dessen Grafiken will er Weimar beglücken, oder eher: mit Grafiken nach Art von Dalí. Die erdrückende Mehrzahl aller – nach Expertenschätzung mehr als fünf Millionen! – in Umlauf befindlicher Dalí-Grafiken dürfte aus jener Grauzone zwischen Werkstattarbeit und Fälschung stammen, die dem Kunstkenner die Haare zu Berge stehen lässt, bei einer gewissen Klientel jedoch weiterhin Zuspruch findet. Und auf diesen, zum Touristenramsch heruntergesunkenen Dalí- Genie-Kult dürfte das geplante Museum hinauslaufen, mag der bereits in Weimar vorstellig gewordene katalanische Sammler auch lauterste Absichten verkünden.

Dalí in Weimar, und das per Stadtratsbeschluss an historischem Ort: Man fasst es nicht. Weimar besitzt ein Erbe, so überreich, dass es überhaupt erst einmal erschlossen werden muss. Und dem Publikum nahegebracht. Das nämlich steht hierzulande, anders als Lesenationen, die ihren Puschkin oder Victor Hugo in Ehren halten, nicht eben mehr auf vertrautem Fuß mit seinem Goethe. „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“, lässt der den „Faust“ sagen, aber die Weimarer Lokalpolitiker kennen ihn nicht mehr, wozu auch. Das Haus der Frau von Stein haben sie nicht erworben. Sie verscherbeln es nur.

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