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Kommentar: Der Ball ist bunt

Schön sollen sie spielen und heute natürlich Fußball-Weltmeisterinnen werden. Von Frauen wird immer noch alles verlangt

Anno 1878 wird die gefeierte Klaviervirtuosin Clara Schumann an das neu gegründete Hoch‘sche Konservatorium in Frankfurt am Main berufen. Sie verpflichtet sich zu anderthalb Unterrichtsstunden täglich, verlangt vier Monate Urlaub pro Jahr nebst der Freiheit, auch im Winter kürzere Reisen unternehmen zu dürfen, und bezieht ein Salär von 2000 Talern. Enorme Privilegien für die einzige Frau unter lauter Männern. Auf dass beides nicht weiter Schule mache, die Sache mit den Frauen ebenso wenig wie die mit den Privilegien, hat Joachim Raff, der Direktor des Konservatoriums, für alle anderen, nunmehr keck Hoffnung schöpfenden Bewerberinnen einen kleinen Formbrief aufgesetzt. „Mit Ausnahme von Madame Schumann“, heißt es darin, „ist und wird im Conservatorium keine Lehrerin angestellt. Denn Madame Schumann selbst kann ich eben wohl als Mann rechnen.“

125 Jahre ist das her, aber wenn die deutsche Öffentlichkeit heute Abend endgültig ihr Herz an den Frauenfußball verliert, dann hat man das Gefühl, Clara Schumann und ihre namenlosen Mitstreiterinnen hätten erst gestern gelebt. Gewiss, Klavier spielt sich anders als Fußball, und überhaupt gehorcht die Kunst natürlich ganz anderen Gesetzen als der Sport. Trotzdem gilt, hier wie da: Wo das weibliche Geschlecht es wagt, in eine so genannte Männerdomäne einzudringen, und die Hegemonie (erfolgreich) bricht, da wird ihm alles „Weibliche“ flugs abgesprochen. Die Frau, das andere, das extraterrestrische Wesen – und so soll es gefälligst auch bleiben. Das alte Suffragetten-Lied. Prompt wird die 60-jährige Clara Schumann – die der Welt unter ihrer schwarzen Witwenhaube nun wahrlich kein maskulines Antlitz bot – „als Mann“ eingestuft: weil sie Klavier spielt wie ein Mann. Weil sie so berühmt ist, wie nur Männer berühmt sein können. Und weil sie zeitlebens nicht nur für ihren eigenen Unterhalt sorgt, sondern auch für den ihres Gatten, des Komponisten Robert Schumann, und ihrer sieben Kinder.

Alles bleibt anders

Unsere Fußballerinnen wiederum standen lange unter dem Generalverdacht, Männer sein zu wollen und auf dem Platz nichts anderes als ihren Mann zu stehen (in Fragen der Geschlechterdifferenz ist die deutsche Sprache ein sehr zuverlässiger Indikator). Ganze Kerle also, hart wie Kruppstahl und keine Angst davor, mit dem ganzen Körper in den nächsten Zweikampf, die nächste Konfrontation zu gehen? Nach dem 0:5 gegen die Russinnen bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren jedenfalls stöhnte der russische Trainer, die Deutschen hätten agiert „fast wie die Männer“. Spielerinnen aber, die nach siegreichem Einlochen ins Tor die Hand zur Kahn-Faust ballen, Salti rückwärts oder vorwärts schlagen, sich die Trikots über den Kopf ziehen und ähnliches männliches Imponiergehabe mehr an den Tag legen, gelten (männlichen) Experten sofort als „komisch“ oder „peinlich“. Frauenfußball, so war auch in dieser Zeitung zu lesen, tauge nur etwas, wenn er nicht eine schlappe Form von Männerfußball sei. Denn Frauenfußball, so pflichtet der Kollege aus der Sportredaktion bei und meint es gut, meint es frauensolidarisch, sei eben ein komplett „anderes“ Spiel. Nicht Blut, Schweiß, Dreck und affenartiges Gebrüll, sondern Technik, Taktik, Mannschaftsgeist und feine Fantasie. Attribute, die potenziell ein ganz neues Licht auf den Rasen werfen und beispielsweise – wenn man sie denn zuließe – die Frage stellen, ob es so etwas wie eine fußballerische Ästhetik jenseits der Geschlechter gibt, eine Wesenhaftigkeit des Spiels als Spiel. Attribute also, mit denen man als Frau zufrieden sein könnte. Eigentlich und einerseits.

Andererseits aber bleibt durch die Rede vom Anderssein auch alles, wie es immer war. Die Männerdomäne bleibt Männerdomäne und hübsch ungestört, und der Frau, ob sie nun Klavier, Fußball, Eishockey, Kontrabass oder Bridge spielt, wird das Frausein wie eh und je von außen zugesprochen. Die französische Feministin, Dekonstruktivistin und bekennende Lesbe Monique Wittig hat, um diesem Dilemma zu entkommen, in den Achtzigerjahren einmal auf die Frage, ob sie eine Vagina habe, frank und frei mit „Nein“ geantwortet. Auch das freilich ist schon länger her. Vergessen die Zeiten von Women‘s Lib und politisch korrektem Frauenbewegtsein, vergessen auch eine Billie Jean King, die 1973 den ehemaligen amerikanischen Wimbledon-Sieger und aktiven Chauvinisten Bobby Riggs in einer legendären „battle of sexes“ mit 6:4, 6:3, 6:3 vom Tennisplatz fegte. Jeder halb-demente Mann, so hatte Riggs im Vorfeld getönt, sei in der Lage, die beste Tennisspielerin der Welt zu schlagen. Zur Matcheröffnung übrigens überreichte er seiner Gegnerin einen riesigen Karamell-Lutscher, während King sich mit einem echten quiekenden Ferkel revanchierte. Humor hatten sie schon, unsere alten Geschlechterkämpfer. Leider ist auch das ziemlich in Vergessenheit geraten.

Das Frauenfußballgeschäft von heute jedenfalls scheint bereit, die tradierten Rollenklischees Gewinn bringend zu erfüllen. Bitte recht weiblich, so lautet die Devise vor dem heutigen WM-Finale, und bei den Mädels mit den „Bürstenschnitten“ – bei Torwartin Silke Rottenberg oder Verteidigerin Kerstin Stegemann – drückt die Nation im Sinne des Erfolgs schon mal ein Auge zu. Das Diktat des Weiblichen aber bleibt bestehen. Das fängt bei Kleinigkeiten wie der Ladies Collection aus dem DFB-Fanartikelshop an (ein Seidenschal!, ein Sonnenhut!) und hört bei Unsäglichem wie dem Erotik-Kalender des Frauen-Bundesligisten FCR Duisburg noch lange nicht auf. Der Vergleich mit dem Männerfußball ist hier ebenso tröstlich wie aufschlussreich. Einerseits kennen auch die Herren ihre bittere Devise (nämlich: bitte recht männlich), und andererseits möchte man sich einen pornografisch posierenden Oliver Kahn oder Jens Jeremies wohl lieber eher nicht vorstellen.

Die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mag ihre Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit längst zu Gunsten schillernd androgyner, offener Identifikationsmuster entrümpelt und säkularisiert haben – auf dem Fußballfeld gilt nach wie vor die gute alte Geschlechterdifferenz. Und Homosexualität (weibliche wie männliche), huch, als Kardinal-Tabu. Wo die Fach-Journaille einen David Beckham als „Schönspieler“ und „Frauenfußballer“ schmäht, da fragt man sich mit Recht, warum die Damen eigentlich nie in Röckchen gespielt haben ...

Hundert Prozent weiblich

Die Pferdeschwanz-Fraktion unter den deutschen Spielerinnen allerdings scheint sich diesen Schuh gerne anzuziehen. Beziehungsweise: Der Imagewechsel – wie er von einem Manager wie Siegfried Dietrich vom 1. FFC Frankfurt nicht erst seit der Europameisterschaft propagiert wird – macht es offenbar erforderlich, die Identität als Frau jederzeit neu unter Beweis zu stellen. Sie fühle sich „zu hundert Prozent weiblich“, bekannte die Hamburgerin Sarah Günther gestern im Tagesspiegel, während Linda Bresonik der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte, sie würde auch auf dem Platz gerne mehr von ihrem Körper zeigen (was die neuen Trikots endlich ermöglichen). Tanja Dürr wiederum von der U16 des 1. FFC Frankfurt vertraute der „Bild“-Zeitung an, dass sie vor dem Spiel bloß „ein bisschen Wimperntusche und Lipgloss“ auflege und ansonsten, klar, einen „süßen“ Freund habe.

Spielen müssten sie können, fasst Dietrich zusammen – und die Optik müsse stimmen. Und heterosexuell sollten sie doch bitte sein, fügen wir hinzu, also ganz normal und nicht provozierend „anders“ noch im Anderssein: Auf dass das Phänomen Frauenfußball demnächst etwas „für die ganze Family“ sei. Die Großen aber wie Birgit Prinz oder Maren Meinert durften ihre Schlafzimmertüren in den letzten Tagen verschlossen halten und über den Sport sprechen. Über Technik, Taktik, Mannschaftsgeist und Fantasie. Wie die Männer, wobei die Schlafzimmer von Effenberg & Co. ... na, egal. Insgesamt macht diese Entwicklung doch Mut.

P.S. Clara Schumann übrigens hat man stets vorgeworfen, eine schlechte Komponistin zu sein. Einfache Erklärung: Sie konnte zu wenig üben. In dieser Hinsicht geht es unseren Fußballerinnen heute besser.

P.P.S. Ich selbst habe nie Fußball gespielt: zu schwache Knöchel, immer gleich verknackst. Sagt meine Mutter.

Christine Lemke-Matwey

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