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© ddp

Komponist Peter Ruzicka: Ich glaube an das „Yes, we can“

Komponist Peter Ruzicka über das Lebenswunder Oper und die Arbeit in Salzburg und Berlin.

In Berlin hat er das Deutsche Symphonie-Orchester geleitet, in Hamburg das Opernhaus und zuletzt als Intendant die Salzburger Festspiele. Doch seit zwei Jahren geht der 1948 geborene Peter Ruzicka wieder dem nach, was ihm vor allem am Herzen liegt: dem Komponieren. Am kommenden Samstag wird seine Oper „Hölderlin. Eine Expedition“ an der Berliner Staatsoper uraufgeführt.

Herr Ruzicka, die Umstände, unter denen das Werk jetzt uraufgeführt wird, sind nicht gerade glücklich. Eigentlich sollte der inzwischen entlassene Intendant Peter Mussbach, der auch das Libretto verfasst hat, das Stück auf die Bühne bringen. Jetzt hat Mussbach gegen die Inszenierung des Ersatzmannes Torsten Fischer protestiert und ursprünglich sogar mit Klage gedroht.

Für mich gehört es zu den Theaterwundern, dass Torsten Fischer, der die Inszenierung im Juni übernahm, es in dieser extrem kurzen Zeit nicht nur geschafft hat, das Stück zu durchdringen, sondern ihm sogar noch weitere Interpretationsschichten zu erschließen. Fischer hatte auch die Idee, zusätzliche Originaltexte Hölderlins in den musikalischen Ablauf zu integrieren. Dabei hat er meine volle Zustimmung. An Mussbachs Text wird jedoch kein Wort verändert – er wird auch vollständig im Programmheft abgedruckt. Peter Mussbach hat deshalb auch auf eine Klage gegen die Staatsoper verzichtet, die ohnehin keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Nach Ihrem Erstling über Paul Celan haben Sie sich erneut ein tragisches Dichterschicksal ausgesucht.

Die Entscheidung für Hölderlin ist eher intuitiv gefallen. Bei der Premierenfeier meiner Celan-Oper 2001 in Dresden fragte mich Giuseppe Sinopoli nach dem Stoff für eine weitere Oper, die er an der Scala uraufführen wollte. Und da sagte ich ihm ganz spontan, dass dieses Werk wohl eine Hölderlin-Oper sein werde. Innerlich war mir sofort klar, dass dieser Stoff die nötige Schaffensenergie bei mir zünden würde. Hölderlin war für mich seit jeher eine prägende Figur.

Sowohl Celan wie Hölderlin haben an ihrer Umwelt gelitten. Leiden Sie auch?

Das Leiden ist ganz alltäglich. An dem Taxifahrer zum Beispiel, der heute Vormittag trotz inständiger Bitten nicht bereit war, die Heavy-Metal-Musik abzustellen. Oder an der Selbstentblößung, die man in irgendwelchen Nachmittags-Talkshows im Fernsehen vorgeführt bekommt. Oder schon allein am Verlust der Stille: Überall wird man von Hintergrundmusik belästigt, was den Menschen immer mehr die Fähigkeit zum Zuhören, zum Aufeinander-Eingehen nimmt. Solche Beschädigungen spiegeln sich auch in der Oper: Die Figuren gehen auf eine Zeitreise, von der aus sie auf eine beklemmende Gegenwart zurückblicken, die auch aus Talkshows, Fitnesscentern und Kriminalität besteht.

Man darf sich unter Ihrer Oper also keine Erzählung von Hölderlins Leben und Leiden vorstellen?

Nein, so etwas wie einen singenden Hölderlin im Turm kann man heute gewiss nicht auf die Bühne stellen. Schon bei Celan habe ich mich ja auf biografische Andeutungen und Spiegelungen beschränkt, hier fehlen sie ganz. Ich glaube, die Oper hat wenig Talent, um Künstlerbiografien bloß nachzustellen. Das können andere Medien besser.

Wenn das Leben des Dichters keine Rolle spielt, worum geht es denn dann?

Hölderlin und sein Denken erscheinen in der Oper wie ein Kompass bei der Findung eines möglichen neuen Lebens. Es geht um die Frage, ob es für unsere Gesellschaft noch Hoffnung gibt oder ob sich die Geschichte mit ihren Katastrophen einfach immer wiederholt.

Und? Gibt es Hoffnung?

Es gibt zumindest die Möglichkeit, dass wir uns ändern. Ich glaube an das „Yes, we can“. In der Oper wird eine solche Botschaft durch alle Widerständlichkeit hindurchgezweifelt in eine Sphäre, die zulässt, dass eine Gesellschaft etwas lernt.

Sucht man nach einem gemeinsamen Nenner zwischen dem Dichter Hölderlin und dem Komponisten Ruzicka, fällt einem schnell der Begriff Fragment ein.

Mir wurde früher manchmal vorgehalten, dass ich eine eigene Fragmentästhetik verfolge. Aber dies war nie so angelegt: Ich stellte einfach fest, dass zuweilen das Material die Spannung der musikalischen Entwicklung nicht aushielt. Und statt das Werk in eine Form zu zwingen, habe ich die klingenden Gestalten als Bruchstücke, als Zeugnisse produktiven Scheiterns stehengelassen. Die Oper verlangt freilich einen großen Bogen, der ein Ganzes definiert. Aber auch hier gibt es Räume, reflexive Momente, in denen die Musik auf sich selbst zu hören scheint, Klangschatten entstehen.

Sie sind ja nicht nur Komponist, sondern als Chef der Münchener Biennale und ehemaliger Intendant der Salzburger Festspiele auch nicht ganz ohne Einfluss in der Kulturszene. Nutzen Sie das, um Ihren Werken zu helfen?

Nein, ich entlasse meine Werke und freue mich, wenn sie wiederaufgeführt werden. Meine Celan-Oper wird im nächsten Jahr etwa in Bremen und Bukarest neu inszeniert. In Bremen realisiert das Vera Nemirova, die als junge Regisseurin das Stück völlig anders sieht als die drei Regisseure zuvor, die auf jeweils ganz eigene Weise stimmige Perspektiven eröffnet hatten.

Sehen Sie da bei der Generation dreißig plus grundsätzlich neue Fragen an die Kunstform Oper?

Solche Paradigmenwechsel werden stets vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Aber ich denke schon, dass neue Sichtweisen bevorstehen könnten: dass die Begabten dieser Generation das Verhältnis des Künstlers zur Gesellschaft vielleicht neu definieren, dass der Begriff des künstlerischen Fortschritts wieder eine Bedeutung erhält. Der Überdruss an der Zeichensprache der Postmoderne ist jedenfalls manifest.

Ihr Name wird in Berlin immer wieder genannt, wenn es um Intendantenposten geht: bei den Philharmonikern, an der Staatsoper oder an der Deutschen Oper. Hätten Sie überhaupt Lust dazu, eine dieser Aufgaben zu übernehmen?

Als Intendant hätte ich ja die Aufgabe in Salzburg fortführen können. Ein Vertrag bis 2011 lag schon auf dem Tisch. Ich habe mich aber entschlossen, meinen künstlerischen Freiraum zurückzugewinnen. Sonst hätte ich mich wohl als Komponist verabschieden müssen. Ich hatte damals das Beispiel meines Hamburger Amtsvorgängers Rolf Liebermann vor Augen: Als er nach 20 Jahren Intendantentätigkeit wieder Komponist sein wollte, wurde er damit nicht mehr glücklich – die ästhetischen Koordinaten hatten sich zu stark verändert.

Das Kapitel Intendant ist für Sie also abgeschlossen?

Ja, die Entscheidung ist unwiderruflich, auch weil ich nach Salzburg wieder erkannt habe, dass die Freiheit als Künstler durch nichts aufzuwiegen ist. Ich nehme nur die Münchner Biennale aus, die ich von meinem Lehrer Hans Werner Henze übernommen habe. Ich glaube, dass der dortige Dialog mit den Komponisten der jungen Generation zu den schönsten Aufgaben zählt, denen man sich stellen kann.

Das Gespräch führte Jörg Königsdorf.

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