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Vincent Andreas ist 100 Prozent West-Berlin. Er wurde in Charlottenburg geboren, ging in Zehlendorf zur Schule und hat in Wilmdersdorf studiert.

© Thilo Rückeis

Komponist Vincent Andreas und seine neue "Hamlet"-Oper: Tanz der Giftmoleküle

Vincent Andreas will dem Musiktheater neue Impulse geben. Jetzt feiert seine Oper „Hamlet“ im TAK Theater Premiere – mit dem Chor als Star.

Das Telefon klingelt, Hamlet hebt ab: „Sein?“, fragt der Dänenprinz und erhält als Antwort einen Schwall rückwärts- und vorwärtsgesungener Wortspiele: „Mein, dein, sein, unser, euer …“, zählt der Chor auf, der nicht brav als Block dasteht, sondern kreuz und quer im Raum verteilt. Immer wieder verändert er seine Gestalt, geht auf Wanderschaft, bildet Formationen. Einzelne Figuren lösen sich aus dem Schwarm, etwa die drei Ophelias oder der doppelte Polonius. Dabei hat das Stück im Grunde nur einen Darsteller, nämlich Hamlet – oder 39, je nachdem. Auch wenn für die Titelrolle der von Schaubühne und Tatort bekannte Schauspieler Franz Hartwig gewonnen werden konnte – der heimliche Star der Oper „Hamlet“, die am Montag Premiere im Aufbau Haus am Moritzplatz feiert, ist der Chor.

Komponiert wurde die Oper für Chor und Kammerorchester von Vincent Andreas, der auch den Kammerchor Nikolassee mitgegründet hat und ihn seit 1992 leitet. Er hat selbst etwas von Hamlet, dem ewigen Intellektuellen: schwarzer Pulli, schmale Schultern, grüblerische Stirn. Ein Zweifler ist er aber nicht, wenn es um sein aktuelles Herzensprojekt geht, dem er sich mit Leidenschaft widmet und dafür sogar auf Bezahlung verzichtet: „Ich glaube, ich habe hier eine ganz neue Form von Musiktheater gefunden“, sagt der 43-Jährige selbstbewusst. Ein Musiktheater, in dem der Chor dem Darsteller als unberechenbarer Akteur gegenübersteht.

Andreas ist hundertprozentiger West- Berliner: in Charlottenburg geboren, zur Schule gegangen in Zehlendorf, studiert in Wilmersdorf. Und er hat im Berliner Klassikbetrieb bereits seine Spuren hinterlassen: Etwa bei der Konzertreihe „Visionäre der Musik“, für die er 2010 eine Kantate mit szenischen Elementen und Lichtinstallation komponierte, oder mit „Das Konzert“, einem halb szenischen Musiktheaterstück für Doppelchor von 2012. Seine spielerische Hamlet-Bearbeitung zwischen Dada, Ballett und Chor ist sein bislang stärkster Auftritt in der Musiklandschaft und ein Beweis dafür, dass Neue Musik keineswegs humorlos sein muss.

Er komponiert nicht nur, sondern arbeitet auch als Autor und Hörspiel-Produzent

Dass er ein so ausgeprägtes Faible für Lieder, Chor- und Vokalwerke entwickeln würde, war nicht ausgemacht: „Früher fand ich es immer spießig, einen Chor zu leiten“, sagt Andreas. Als er Komposition an der HdK studierte, galten Chöre als verpönt: „Manche Kommilitonen fanden sie geradezu faschistoid.“ Trotzdem gründete er kurz darauf den Kammerchor Nikolassee und war begeistert von den Möglichkeiten, die ihm das experimentierfreudige Ensemble bot. Trotzdem ist er nicht auf Vokalmusik festgelegt, generell nicht nur auf Musik. So arbeitet er auch als Autor und Hörspiel-Produzent. „Es ging bei mir eigentlich immer hin und her mit dem Komponieren einerseits und dem Schreiben andererseits, bis heute“, sagt Andreas. Schreiben und Komponieren seien auch nicht so verschiedene Dinge für ihn: „In Kompositionen erzählst du auch immer eine Geschichte.“

Seinen ersten Roman schrieb Vincent Andreas 2002. Drei rückwärtserzählte Handlungsstränge über scheiternde Menschen. Suhrkamp zeigte Interesse, der Fischer-Verlag war bereits überzeugt, doch ein Lektor legte Veto ein und machte Andreas einen Strich durch die Rechnung. „Dann hat mir Günther Grass noch meinen Titel weggenommen“, erinnert er sich. „Das Buch sollte nämlich ‚Im Krebsgang’ heißen.“ Nachdem er ein Jahr lang erfolglos für die Veröffentlichung gekämpft hatte, war ihm erst mal die Lust am Romaneschreiben vergangen.

Doch da gab es ja noch Hörspiele: Nach dem Ende seines Studiums 1999 ergriffen viele Kommilitonen klassische Geisteswissenschaftler-Jobs wie Taxifahrer. Andreas entging einer solchen Karriere und landete als Hörspiel-Autor bei Kiddinx, Deutschlands größtem Hörspielverlag. Dort lernte er die Legende Ulli Herzog kennen, der bei hunderten Folgen von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg Regie führte und Drehbücher schrieb. Bis zu seinem Tod 2003 verband beide eine enge Freundschaft. „Ich habe mich sehr gut mit ihm verstanden“, erinnert sich Andreas. „Er kam gerne zu meinen Konzerten und hat mir immer gut zugeredet, dranzubleiben und nicht aufzugeben.“

Hamlet und Laertes duellieren per "Schere, Stein, Papier"

Andreas blieb dran, komponierte Kantaten, Bearbeitungen von Liederzyklen, 2014 mit „Requiem“ auch ein Werk für Chor und großes Orchester nach Werken von Chopin, Uraufführung in der Philharmonie. Feste Vorbilder hat er nicht, Stockhausen mag er ebenso wie Mozart oder Ligeti. „Ich kann eigentlich aus allem etwas herausziehen“, sagt er. „Außer aus Carl Orff – das ist grässlich.“

Schreiben und Komponieren: Es ist schwierig, sich um zwei Karrieren zu kümmern. Trotzdem oder gerade deshalb ist „Hamlet“ sehr wichtig für ihn, da er hier beides verbinden kann. Auch das Libretto hat er verfasst. Vom Originaltext ist allerdings nicht mehr viel übrig. Andreas hat den bekannten Stoff großzügig gekürzt und spielt mit den verbliebenen Elementen, vor allem mit der Beziehung von Hamlet zu seinen Eltern sowie den grundlegenden existenziellen Fragen nach Sein und Nichtsein. Inszeniert hat er das alles mit vergnüglicher Respektlosigkeit: Fünf tanzende Giftmoleküle übermitteln Hamlet den Tod des Vaters, das Duell mit Laertes trägt er per „Schere, Stein, Papier“ aus.

Ein weiterer Aspekt, der das Projekt ungewöhnlich macht: Es wurde zum Teil per Crowdfunding finanziert. Die Gesamtkosten liegen bei 40 000 Euro, knapp 5000 kamen über die Plattform Startnext zusammen. Dass Crowdfundig zum neuen Finanzierungsmodell für Klassik-Aufführungen avancieren könnte, glaubt Andreas allerdings nicht: „Dafür muss man schon eine gewisse Popularität haben.“ Dennoch zeigt dieser kleine Erfolg: Es gibt ein Publikum für ungewöhnliches Musiktheater und für Chor-Projekte. „Auf einmal ist das Interesse an Chören wieder da“, bestätigt Andreas. „Es wird auch viel neue Chormusik geschrieben, wenn auch nicht immer gute.“ Gerade in Berlin gebe es ein Publikum für Neue Musik: „Das sind aber oft gar nicht ‚Alteingesessene’, sondern Menschen, die normalerweise nie in klassische Konzerte gehen.“ Ein Publikum, das schon auf neue Projekte von Andreas gespannt sein darf, denn er plant, mit Musiktheater weiterzumachen. Nächstes Ziel: eine Grimm-Oper mit großem Orchester. Diesmal aber ohne Chor.

„Hamlet“, TAK Theater im Aufbau Haus am Moritzplatz, Premiere am Montag, 21. März, auch 22. – 24. März, jeweils 20 Uhr

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