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Die Macher. Adriana Lettrari, Johannes Staemmler, Stephanie Maiwald.

© Zinken

Konferenz: Geboren in der DDR, aufgewachsen in der BRD

Zwischen Ostalgie und Unrechtsstaat: Die Berliner Konferenz "Dritte Generation Ost" erforscht die Erfahrung der Wende als Chance.

Adriana Lettrari hatte es schon lange, dieses leicht vernebelte Gefühl, wie sie es nennt. „Wenn ich neue Leute treffe, bin ich bestimmt nicht die Erste, die sagt: Übrigens, ich komme aus dem Osten. Wenn ich darauf angesprochen wurde, habe ich das Thema gewechselt.“ Mit einer diffusen Scham habe das zu tun, aber auch mit Sprachlosigkeit. Als sich 2009 das Medienkarussell zum 20-jährigen Einheitsjubiläum drehte, als in Anne Wills Talkrunde mal wieder westdeutsche Männer über den „Unrechtsstaat DDR“ palaverten, da wurde es ihr zu viel. Lettrari dachte: „Da müssten jetzt unsere Eltern sitzen. Und wenn die da nicht sitzen wollen, dann müssen wir eben selbst den Diskurs verändern.“ Adriana Lettrari motiviert ein „inneres Aufbegehren“ gegen die Darstellung des heutigen Ostdeutschlands, gegen die Negativklischees Abwanderungsödnis, Arbeitslosigkeit, Armut, Ex-Stasimitarbeiter, Rechtsradikalismus.

Die heute 31-jährige Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin arbeitete damals im Bundestag, trommelte Freunde und Bekannte zusammen, erstellte einen Diskussionsplan – der sofort über den Haufen geworfen wurde, weil alle erst mal einfach nur reden wollten. Johannes Staemmler, 1982 in Dresden geboren, Promovend an der FU Berlin zur Zivilgesellschaft in strukturschwachen Regionen, sagt: „Wir wollten das Bild ausdifferenzieren, weg vom Verfall, hin zur Chance.“

Nach dem ersten Treffen spürte Adriana Lettrari fast körperlich, dass sich da ein neues Bewusstsein formulierte; „Oh Gott“, dachte sie, „war das vielleicht ein historisches Ereignis?“ Sie gründete einen Verein, der, unterstützt von der Stiftung Aufarbeitung, an diesem Wochenende die erste Konferenz für die „Dritte Generation Ostdeutschland“ organisiert. Diese Generation wurde zwischen 1975 und 1985 geboren, sie umfasst etwa 2,4 Millionen Menschen, darunter die „Mobilen“, die nach Westdeutschland Abgewanderten, aber auch die „Dagebliebenen“.

Und vor allem viele, die sich ihrer spezifischen, DDR-sozialisierten Kompetenz gar nicht bewusst sind: Sie seien weniger individualistisch, weniger statusorientiert, kooperativer, hätten weniger Bedürfnis nach materiellem Reichtum, mehr Erfahrung im Umgang mit Mangel, so Adriana Lettraris Hypothese.

Aber da regt sich Widerspruch am Planungstisch. Zum neunköpfigen Konferenzteam gehören auch Westdeutsche, etwa Stephanie Maiwald, 31, Wiesbadenerin und für eine Berliner Stiftung tätig, ging zum Studium nach Frankfurt an der Oder. Sie sieht die ökonomische Mangelerfahrung eher bei den ostdeutschen Eltern, denn diese könnten weniger und später vererben. Nach der Wiedervereinigung hätten viele von ihnen in einer Art „zweiten Pubertät“ auf einmal USA-Reisen unternommen und H&M-Klamotten gekauft – was wiederum zu einer Unsicherheit bei ihren Kindern geführt habe.

Natürlich könnte man jetzt Statistiken suchen, aber warum nicht erst einmal Geschichten erzählen, die anders klingen als das stereotype „Was hast du am 9. November 1989 gemacht“? Zumal sich die meisten der Wendekinder an den Tag des Mauerfalls kaum erinnern, weil sie zu jung waren. Auch war nach 1989 ja nicht auf einmal alles vorbei. Adriana Lettrari vermutet bei sich gar einen „Erlösungswunsch“. Johannes Staemmler ist das zu pathetisch, er sagt: „Wir haben die ganze Zeit unseren Eltern die Welt erklärt und darüber vergessen, die ein oder andere Frage zu stellen. 20 Jahre nach 1945 haben die Leute angefangen nachzufragen. Das sollten wir langsam auch tun: Wo waren die Grenzen, wo waren die Freiräume?“

Man bewege sich damit auf einem schmalen Grat zwischen Ostalgie und Unrechtsstaat. Die wenigsten DDR-Bürger waren Widerständler, sondern haben zu dem System beigetragen. Adriana Lettrari nickt. Sie würde sich gerne von dieser „historischen Aufgabe“ befreien – aber am Ende müssten sie sich doch sagen, dass sie ihre Kindheit in einer Diktatur verbracht haben, sagt sie. Das müsste man innerlich zulassen. Es geht den Konferenzmachern also im tiefsten Sinn um die Bezüge zwischen persönlicher Erfahrung und historischem Ereignis, um eine Verantwortung sich selbst, ihren Eltern, aber auch einem Land gegenüber.

Vielleicht passt es da, dass die meisten Teammitglieder in Prenzlauer Berg wohnen, einem Bezirk, der wie kein anderer für Transformation steht. Trafen sich in den 80er Jahren dort DDR-Avantgardekünstler und Schriftsteller, ist der Kiez heute von renovierten Straßenzügen, Nachtleben und Bionade-Familien geprägt. Der Systemwechsel hat zwei Gesichter: Hier die Wende-Gewinner, dort die Verlierer. „Das war eben nicht ,eins plus eins gleich drei’, sondern ,Westdeutschland minus Ostdeutschland gleich Berliner Republik’“, sagt Adriana Lettrari. Und die „blühenden Landschaften“, sagt Maiwald, gebe es im Westen ja auch nicht mehr. Man habe das Bild, dass alle die gleichen Chancen haben sollten – aber die Realität sehe einfach anders aus.

Die „Dritte Generation“ bezieht gesamtdeutsch Stellung. Dass ihre Selbstbezeichnung an die Migrationsdebatte erinnert, ist gewollt. Johannes Staemmler sagt: „In Ostdeutschland sind die Leute zwar nicht weggegangen – aber ein neues Land ist zu ihnen gekommen.“ Literatur aus dieser Generation gebe es ja schon – etwa Maxim Leo mit „Haltet euer Herz bereit“, Jana Hensels „Zonenkinder“, Dörte Grimms „Die Unberatenen“ oder „Geteilte Träume“ von Tagesspiegel-Redakteur Robert Ide –, die Konferenz wage nun den Schritt aus der Schrift in die Wirklichkeit.

130 junge Ostdeutsche haben sich angemeldet, mehr Frauen als Männer, geboren in allen fünf neuen Bundesländern. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer lebt heute in Berlin. Die Konferenzeinladung hat über Blogs, Facebook und Twitter eher bereits vorhandene Netzwerke erreicht, vor allem Menschen, die schon „vorengagiert“ sind. Für eine breitere Mobilmachung waren keine Mittel da – Sponsoren könnten aber gern „Tag und Nacht“ anrufen, lächeln die Macher.

Vor allem merkten die Organisatoren durch ihre Internetkommunikation, wie gut „integriert“ die Ostdeutschen sind. Die „Likes“ auf Facebook kamen aus der ganzen Welt. Das Netz dient hier als Mittel, zum physischen Herkunftsort wieder Kontakt aufzunehmen und sich konkret zu engagieren. Am Ende sollen die Leute „mehr Selbstvertrauen haben, dass man was ändern kann“, wünscht sich Stephanie Maiwald. Sie versteht den deutschen Osten als ein „Labor“: Auch kleine Projekte, wie eine alternative Schule in einem Kaff, machten eine Region attraktiver. Auch Adriana Lettrari sieht das so. Der Osten könnte einen Modernisierungsschub erfahren, wenn dort modellhaft andere Realitäten geschaffen werden, wie neue Arbeitsmodelle für arbeitende Senioren, die Entkopplung von Job und Wohnort, gute Kindergarteninfrastruktur – ein „Wohlfühlpaket Ost“.

Natürlich brauche es noch eine Weile, bis sie von Prenzlauer Berg nach Hoyerswerda ziehen würden, sagt Johannes Staemmler. Aber eine Stadt werde eben auch nur wie Prenzlauer Berg, wenn da jemand was tut. Gerade hat die Autorin Jana Hensel in der Wochenzeitung „Der Freitag“ gefordert, dass die Antworten auf offene Fragen der Stadt Berlin aus dem Osten kommen müssten. Die Wendekinder haben einige parat.

Konferenz vom 8. bis 10. Juli, Collegium Hungaricum, Dorotheenstr. 12, Mitte. Öffentlich ist die Lesung mit György Dragomán, Léda Forgó und Tagesspiegel-Sportchef Robert Ide zu „Wendekindern in Europa“, danach Multimediaperformance von Katharina Groß sowie Filme und Party (9. Juli, 20 Uhr, Eintritt frei). Mehr unter www.dritte-generation-ost.de

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