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Das Gute kann siegen. Die Berliner „Goldelse“ bei einer Greenpeace-Aktion gegen Umweltverschmutzung 2017

© picture alliance / Paul Zinken/d

Konsequenzen aus der Krise: Was geht, wenn alle wollen

Wir sind in Sorge um uns – und weil vieles stillsteht, kommt manches in Bewegung. Ein Essay.

Von Caroline Fetscher

Die Gattung Mensch auf dem Erdenrund hat einen Haufen Probleme. Fast alle sind selbstgemachte, kurzsichtig ignorierte, bagatellisierte, weggeredete, verdrängte oder verleugnete Probleme. Darunter finden sich technische, wie Atomwaffen, Kernkraft, Treibhausgase oder Plastikmüll.

Andere Probleme sind affektive und wuchern etwa wegen ideologischer Verblendung und mangelnder Bildung: Verschwörungswahn, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Sündenbocksuche. Alles miteinander verdankt sich meist den beiden stärksten Triebkräften, die Aktienexperten als die kapitalen Motoren für Berg- und Talfahrten der Börsen erkennen: Gier und Angst.

Gier und Angst sind bekanntlich keine besonders intelligenzfördernden Gesellen, dafür umso beharrlichere, vor allem in Systemen, auf deren Fahnen Wirtschaftswachstum und Profitmaximierung stehen. Leute, die sich mit dem oben skizzierten Problemkatalog anlegen, indem sie etwa Klimarettung fordern, das Ende nuklearer Rüstung oder mehr Mittel für Bildung, denen begegnet, neben freundlichem Interesse, meist der Hinweis auf erbarmungslose Marktlogik.

Schlaufenhafte Behauptungen lauten: Es muss so weitergehen, damit es weitergeht! Geht so nicht, machen wir nicht, können wir nicht, brauchen wir so, muss sein, haben wir noch nie gemacht, haben wir immer schon so gemacht.

Bis vor Kurzem war Verzicht unvorstellbar

Auf staunenswerte Weise löst die Corona-Pandemie solche Schlaufen auf, und beweist ganzen Gesellschaften – und Ideologien –, dass die Dinge auch anders laufen können. Yes, we can. Es geht. Die ganze Welt bewegt sich, damit die halbe Welt ein bisschen stillsteht, sich verlangsamt und Atem holen kann, damit das Virus nicht zu vielen und zu schnell den Atem nimmt. Die Gattung ist in Sorge um sich, es betrifft alle, und das verstehen alle. Hier liegt der Unterschied.

Bis vor wenigen Tagen schien der Verzicht unvorstellbar auf massenhafte Mobilität, auf Flugverkehr, Fußballspiele, Ferntourismus, Großevents, auf die riesigen, globalen und lokalen Bewegungen von Gruppen und Subgruppen. Jetzt gefährden sie potentiell alle, und „die Maßnahmen stoßen auf Verständnis“, wie die Nachrichtensender vermelden. Yes, we can. Es geht.

Veränderungen, auch drastische, massive Änderungen menschlichen Verhaltens in ganzen Gesellschaften sind möglich, wenn der politische Wille existiert, Experten zu folgen, und die Vermittlung an die Öffentlichkeit soweit als möglich transparent ist und gelingt.

Weltverbesserer bei Greenpeace

Der große, temporäre Schwenk entspricht dem, was junge Klimaaktivisten wie die schwedische Teenagerin Greta Thunberg fordern: Haltet mal alle inne, besinnt euch, werdet konstruktiv.

In den 1980er Jahren, als ich, erst freiwillig, dann hauptamtlich bei Greenpeace Deutschland zu arbeiten anfing, konnte man in dem damals kleinen Büro am Hamburger Hafen den Eindruck bekommen: Die sind hier alle größenwahnsinnig. Langhaarige Weltverbesserer in selbstgestrickten Pullovern richteten Aufrufe, Appelle und Forderungen an Staatschefs und Konzerne, gespickt mit Sofort-Schluss!-Parolen.

Vom Büro im „Haus der Seefahrt“ sah man auf Containerschiffe, tonnenschwer beladen mit Waren im globalen Handel. Die Elbe war, wie Rhein, Main, Donau und andere Wasseradern, ein von Abfällen und Unrat versauter Fluss.

Wälder standen im sauren Regen, Fässer mit Chemiemüll wurden in die Nordsee verklappt, in der Südsee gab es Testgelände für Atombomben, das Ozonloch dehnte sich aus, Kraftfahrzeuge rasten mit verbleitem Benzin über die Autobahnen. Und eine Handvoll Öko-Fundis fanden, dass das alles aufhören sollte. Irrsinn, wetterte die Industrie: Bleifreies Benzin? Katalysatoren für alle Autos? Völlig undenkbar, das Ende des Industriestandorts Deutschland, der Ruin! Geht nicht, können wir nicht, brauchen wir nicht.

Warum wird Energie zur Destruktion genutzt?

Vieles ging dann eben doch, Schritt für Schritt, allmählich. Bleifreies Benzin war bald die Norm, Atomtests wurden eingestellt, das Ozonloch schrumpfte, als FCKW verboten waren, Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Das stimmte optimistisch.

Allerdings, die Grundtendenz, mit Gier und Angst nach Mehr zu fahnden, blieb. Wenn es möglich wäre, die Erde aus dem All zu filmen, und uns den globalen Film im Zeitraffer vorzuführen, würden wir Kriegsgebiete sehen, Krisengebiete, zertrümmerte Städte, Müllhalden, Waffenfabriken, Atomkraftwerke, Reiche die reicher, und Arme die ärmer werden. Wir wären vielleicht verblüfft über die gewaltige Summe an Energie, die dem Destruktiven dienen.

Große Veränderungen sind nicht utopisch

Ins Riesengroße anwachsen könnte das Fragezeichen hinter dem Rätsel: Warum werden nicht all die Energien für das Konstruktive eingesetzt? Für das Glück der Gattung? Alle Mittel dafür sind da, wenn wir es wollen. Großartige Erfindungen, Techniken und Forschungen, der Wunsch nach Solidarität, der gute Wunsch nach Selbsterhalt der Gattung, jenseits von Gier und Angst um Profit.

Der Wunsch ist jetzt da, und auf einmal gibt es Milliarden für produktive, präventive Maßnahmen, wo vorher ein paar Millionen Euro oder Dollar für Bildung und Umwelt fehlten, und ein paar tausend für die freundlichen Projekte gegen Rassismus. Wenn derselbe politische und gesellschaftliche Wille, der jetzt die Corona-Pause produziert, sich auch nur im Ansatz übersetzt in den Alltag danach, könnten Gesellschaften sich fort von Gier und Angst etwas rationaler entwickeln, hin zu Solidarität und Courage. Das geht. Wir können das. Wir erleben das gerade: Große Veränderungen mit konstruktiven Zielen sind nicht utopisch.

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