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Konservatismus: Mandarine und Mitläufer

Die "Zeitschrift für Ideengeschichte" versucht, die Grundbegriffe einer "Konservativen Ästhetik" zu definieren. Warum zieht sie Intellektuelle eigentlich so an?

Von Gregor Dotzauer

Wenn sich Konservatismus so einfach definieren ließe, wie es der Anthropologe Arnold Gehlen 1973 in einem Brief an Joachim Günther, den Herausgeber der „Neuen Deutschen Hefte“, tat, wäre er nicht eine so verteufelt heikle Angelegenheit. „Wer im Leben seine Familie zusammenhielt, Erfolg im Beruf hatte, politisch nicht unter das Joch ging“, schrieb er, „der gehört schon einer Minderheit an und ist konservativ gegenüber den Scharen der Geschiedenen, der Berufswechsler, der Mitläufer. Und dann noch dem Tod ins Auge sehen, woran nur Menschen einen hindern könnten. Dann wäre das Pensum bestanden.“

Drei Jahre später starb Gehlen, doch sein persönliches Pensum konnte er schon nach der ersten Lebenshälfte nicht mehr erfüllen. Als Denker war er zwar stets zu brillant, um in schäumend Ideologisches zu verfallen, aber als Mensch war er zu schwach, um den Verlockungen einer nationalsozialistischen Universitätskarriere zu widerstehen. Am 1. Mai 1933 schloss er sich der NSDAP an, vertrat erst den wegen sozialistischer Äußerungen per neuem Gesetz aus dem Amt gejagten Paul Tillich, übernahm dann die Leipziger Professur seines entlassenen jüdischen Doktorvaters Hans Driescher und schaffte es, gut protegiert, über Königsberg bis nach Wien.

Ein Makel blieb ihm bis zuletzt, und obwohl er nach dem Krieg nicht so isoliert war wie der Staatsrechtler Carl Schmitt, mit dem er korrespondierte, blieb er als Professor in Speyer am akademischen Rand. Es war Theodor W. Adorno, der ihn, den Anwalt starker Institutionen, die dem „Mängelwesen“ Mensch mit Hilfe von Ehe oder Staat Halt verleihen, in öffentlichen Diskussionen als Widerpart nobilitierte. Auf Youtube finden sich noch Spuren dieser allein vom Ton her aus der Zeit gefallenen Debatten. Wo Gehlen sich als Konservativer sah, nämlich durchaus resistent gegen die Sirenengesänge der Neuen Rechten vom Schlage Armin Mohlers, Ernst Jüngers zeitweiligem Privatsekretär, untersucht in der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ (Herbst 2013, Verlag C.H. Beck, 12,90 €) nun sein Schüler, der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg, mit Blick auf den Briefeschreiber.

Im Rahmen des Leitthemas „Konservative Ästhetik“ zeigt Rehberg auch, wie Gehlen sich vom Anhänger des modernefeindlichen Kunsthistorikers Hans Sedlmayr, der vom Nazi zum Erzkatholiken konvertiert war, zum vorsichtig aufgeschlossenen Galeriebesucher zeitgenössischer Kunst wandelte. Für Willibald Sauerländer bleibt Sedlmayr, der vor allem als Autor der kulturpessimistischen Studie „Verlust der Mitte“ in Erinnerung geblieben ist, bei allem Respekt vor seinem Stil, „ein fundamentalistischer Jeremias“.

Wie kommt es, dass man sich für Figuren wie ihn derzeit wieder interessiert? Dass man Martin Heideggers „Kunstwerk“-Aufsatz gegen eine Fortschrittsästhetik mobilisiert, die längst postmodern geschleift ist? Oder dass der vor kurzem verstorbene Henning Ritter mit seinem Gegenwartsekel und neuen Proben aus den „Notizbüchern“ nicht ohne heimliche Träne zum „letzten Mandarin“ (Ulrich Raulff) erklärt wird?

Im Einzelfall mögen es tatsächlich Sympathien für die dubiose Rechte rund um die „Junge Freiheit“ sein, die sich mit einer „Bibliothek des Konservatismus“ in der Berliner Fasanenstraße vor einem Jahr ein neues intellektuelles Zentrum gegeben hat: Sie hütet unter anderem die Buchnachlässe von Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing und Günter Rohrmoser. Aufs Ganze gesehen ist aber aus einer offensiv liberalen Haltung heraus wohl auch das Bewusstsein gewachsen, wie problematisch die Fronten verlaufen: biografisch und theoretisch.

Das Herzstück der Ausgabe ist von daher Helmuth Lethens Essay über den „Gracían-Kick im 20. Jahrhundert“. Der Literaturwissenschaftler, der sich schon in seinen „Verhaltenslehren der Kälte“ mit dem „Handorakel“ des spanischen Jesuiten auseinandersetzte, liefert hier ein Stück Rezeptionsgeschichte. Es berücksichtigt Machiavellisten wie Carl Schmitt, Philosophen wie Hans Blumenberg – und mindestens drei verbürgte Linke: nämlich Bertolt Brecht, Walter Benjamin und den französischen Situationisten Guy Debord.

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