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Zwei Arten Genie. Konstantin Wecker geriert sich bei Auftritten als Künstlermensch, sein Drummer und Gitarrist Jens Fischer überzeugt durch wahrhaft brillantes Spiel.

© Geisler-Fotopress

Konstantin Wecker im Konzert: Der Über-Sinnliche

Genug ist doch genug: Konstantin Wecker gibt in der Philharmonie den genialen Politkünstler, der Zorn und Liebe vereint und alle Widersprüche der Welt auf sich nimmt. Immerhin: Eine gute Band hat er.

Nein, für Pathosverächter ist das hier nichts! Wie der Künstler in der zweiten Zugabe „Was für eine Nacht“ deutsch-italienelnd den Mittelgang des Philharmonieparketts rauf- und runterfegt; wie er hier eine Greisin herzt, dort einen exaltierten Pulloverträger abklatscht; und wie er, nach stampfendem Mitgeklatsche ganz leise werdend, die Textzeile „...und umarmen wir jetzt jeden, der uns braucht in dieser bitterkalten Zeit“ mit herausforderndem Blick ins aufgesprungene Publikum auskostet, um dann mit spitzbübischer Selbsterkenntnis zu sagen: „So wird ein Wecker-Konzert zum Kirchentag.“

Ja, Kirchentag ist ein gutes Stichwort, hat das hier doch auch nach 40 Bühnenjahren mit der inzwischen 65 Jahre alten Rampensau Konstantin Wecker immer noch etwas Messianisches. Der geniale Bühnenkünstler, der „reife“ Texte nach eigener Aussage nur zu „pflücken“ braucht, nimmt die Widersprüche der Welt auf sich. Stellvertretend für die, die ihn lieben, vereint er Zorn und Liebe, macht Licht aus Dunkelheit und bleibt dabei doch energetisch, über-sinnlich geradezu. Der Titelsong der neuen Live-CD „Wut und Zärtlichkeit“, deren Repertoire Wecker und seine Vier-Mann-Band an diesem Dienstagabend in Berlin mit bis in die Ansagen reichender Präzision nachspielen, ist programmatisch: „Sei ein Heiliger, ein Sünder, gib’ dir alles! Werde ganz!“

Wecker gibt ihn überzeugend, den Ganzgewordenen, der dann die wahrhaft Bösen im rollenden Münchnerisch abwatscht: Börrrsen, Banker und Frrrau Merrrkel, deren Lächeln und – haha – Brrrüste in einem juchzenden Couplet derart unterschwellig misogyn besungen werden, dass man auf Weckers Frage „Darf man das noch nach Brüderle?“ rufen möchte: Nein, die Reduzierung einer Politikerin auf ihr Geschlecht ist selbst dann nicht o.k., wenn man damit deren zu unpolitisches Gebaren anprangern will.

Indes: Vielleicht ist es auch falsch, von einem Abend mit Wecker inhaltlich mehr zu erwarten als eine jenseits von Utopien niemals lösungsorientierte Pauschalanklage. Ein bisschen wirkt’s wie ein Deal: Wer in einem von Stéphane Hessel inspirierten Lied „Empört euch“ mitruft, darf sich sonst, im Bett und am Esstisch, alles geben. Der Mensch als Zeichen gegen die Unmenschlichkeit muss ja genährt werden. Nicht zuletzt in Zeiten, da die depperten Nachgeborenen mehr an iPhones glauben als an den Klassenkampf.

Einen Kontrapunkt zu diesem Gedröhne setzt der Ort des Geschehens. Die Zwischenrufe aus den zunächst suboptimal beschallten seitlichen Blöcken der Philharmonie sorgen zu Beginn für Abwechslung. Sonst überzeugt ein präziser Ton, der die Band mit Wecker-Weggefährte Jo Barnikel (meist am E-Piano), dem alten Folk-Fahrensmann Nils Tuxen (meist mit der Pedal-Steel-Guitar) und den vergleichsweise jungen und jung musizierenden Jens Fischer und Tim Neuhaus als konzertantes Ereignis wirken lässt. Wie die in den Zugaben Wecker-Klassiker in Drum-Soli auslaufen lassen, scheint das die biedere Liedermacherkunst zu hinterfragen. Schade eigentlich, dass Wecker, wie auch bei der angenehm unbarocken Gastzugabe Dota Kehrs, wohlwollend nickend am Bühnenrand steht. Und sich die Lieder, in all ihrer Beschränktheit, schließlich doch immer wieder, wie alles, zu eigen macht.

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