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Kultur: Kontakthof der Kuscheltiere

„Back to the Present“: Die Off-Choreografin Constanza Macras erobert die Berliner Schaubühne

Endlich mal eine deutliche Ansage. Der schmierige Typ mit seinem weißen Zuhälteranzug und dem debilen österreichischen Dialekt macht schon zu Beginn der Aufführung klar, wie er sich einen gelungenen Abend im Kunsttempel vorstellt: „Guten Abend in der Schaubühne. Ich bin der Jim. Sie verhalten sich ruhig, und dann sehen wir weiter.“ Alles klar, wird gemacht. Natürlich verhält sich dann doch niemand ruhig, schließlich sind wir in einer Tanztheater-Performance-Party der Choreografin Constanza Macras. Also hagelt es Plüschtiere von der Decke, eine aufgeblasene Spielzeugkuh wird zum Star, eine Blondine aus Iowa plappert mit nerviger Kleinmädchen-Stimme vor sich hin, später zeigt sie uns ihre ledernen Stringtangas und auch sonst ist eine Menge los. Ein smarter arabischer Junge zeigt elegante Breakdances, Gruppen-Choreografien zitieren Musikvideos und eine verzweifelte Tänzerin hat Probleme mit ihrem Knie. Vivaldi und Deep Purple, Nena und Tschaikowski und immer wieder „Yesterday“ in einer Fassung für Big Band gehen seltsame musikalische Allianzen ein, es wird Luftgitarre und Mandoline gespielt und der Schlagzeuger vergnügt sich mit einer leeren Plastikflasche. Auf einem Film sieht man merkwürdige Dinge, zum Beispiel, wie eine Nackte in riesigen Sälen endlose Fenster-Fronten entlangrennt, eine andere hat Depressionen und boxt auf dem Jahrmarkt mit einem riesigen Plüschtier-Elch, aus Versehen werden zwei Männer in den Tod gestürzt und auch das sieht ziemlich komisch aus. Gerne wird sich ausgezogen, geküsst, mit Stühlen geworfen, telefoniert, Fahrrad gefahren, gestolpert, gefummelt, geflucht, mit Türen geknallt, getorkelt und auch vor der Verfolgungsjagd eines umgekippten Sofas und einer panisch kriechenden Frau in weißer Unterwäsche schrecken die Künstler nicht zurück. Mit anderen Worten: Die Post geht ab wie sie an der guten alten Schaubühne noch nie abgegangen ist. Regression rules ok, scheint der Abend zu flüstern und ältere Besucher sinnen wehmütig dem Glück ihrer Pubertät hinterher, die hier noch einmal in prächtigen Delirien aufblüht. Und ganz nebenbei beschert uns die Aufführung auch einen wunderbaren Vorrat für endgültige Abschiedsätze. Die Künstler sitzen im Halbkreis, produzieren auf ihren Instrumenten Klänge, für die Katzenmusik gar kein Ausdruck ist, und telefonieren im Chor mit ihren Handys. „Lass uns Freunde bleiben.“ – „Can we still fuck together?“ So rasant wurden Gefühlswirrsal und Komik noch nie kurzgeschlossen.

Während einem von Constanza Macras Karneval der Kreaturen langsam schwindelig wird, erinnert man sich des schmierigen Brechmittels von Zirkusdirektor im weißen Anzug, der zu Beginn des Abends für Ruhe und Ordnung sorgen wollte, ein angesichts von Constanza Macras theatralischer Chaosforschung so heroisches wie rührend hoffnungsloses Unterfangen. Kurz vor Schluss wird er noch einmal eine kurze Ansprache zur Mitarbeitermotivation halten: „Ja, das war ja schon ganz gut. Aber den Raum, den müsst Ihr erstmal füllen.“ Es folgt eine bedeutungsschwere Geste, die mindestens die Geschichte der Schaubühne, wenn nicht des abendländischen Theaters und der europäischen Hochkultur einschließt.

Constanza Macras, vor kurzem noch ein Star der Subkultur, erobert die Beletage des europäischen Theaters, demnächst in Avignon. Und wie sie das macht, wie sie ihre Verwunderung darüber, wo sie mit ihrem lustigen Pop-Radikalismus gelandet ist, gleichzeitig ausstellt und mit der selben Geste alle Selbstzweifel und Ängste wegwischt, das ist umwerfend unverschämt. Und ziemlich raffiniert. Man soll es ihrer Inszenierung anmerken, dass sie der gediegene Aufführungsort nicht nervös macht. Für Demutsgesten sieht sie keinen Anlass, lieber wird sie gut gelaunt rotzig. Und ganz nebenbei lässt sie durchblicken, dass diese vornehmen Stätten der Hochkultur für ihre kleine Kulturrevolution der Kuscheltiere überreif sind, eine feindliche Übernahme der lässigen Art. So bekommt die berühmte Selbstreflexivität der modernen Kunst noch einmal einen schön anarchischen Dreh: Wenn der Underground die Kunsttempel übernimmt, sollen sie hinterher wenigstens wie Party-Locations oder Rock´n Roll-Kinderzimmer aussehen.

Eine erste Fassung dieses wilden Performance-Stücks hat Macras im vergangenen Sommer im Kaufhaus Jahndorf gezeigt. Das war eine Produktion der Sophiensaele, dem Off-Theater, das Macras Ausnahme-Talent entdeckt und über Jahre unterstützt hat, während die vornehmen Abteilungen der Hochkultur und die konservativere Fraktion der Tanzkritik über die Verrückte aus der Off-Szene die Nase gerümpft hat. Das macht den Abend in der Schaubühne zu einem furiosen Sieg. Dass er verrückter und gelöster war als die Show im Kaufhaus Jahndorf, macht für Constanza Macras Zukunft jenseits des Off die schönsten Hoffnungen.

Wieder am 1., 20., 21. und 23. März

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