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Kultur: Kontrollierter Farbrausch

Bei Angela Dwyers letzter Ausstellung in Berlin vor sechs Jahren in der Galerie Diehl wirkte die zentnerweise auf der Leinwand verteilte Ölfarbe noch wie ein bewegtes Meer. Als wären die Gemälde das Ergebnis einer brachialen Farborgie, die man der zierlichen Neuseeländerin mit Wohnsitz in Berlin kaum zugetraut hätte.

Bei Angela Dwyers letzter Ausstellung in Berlin vor sechs Jahren in der Galerie Diehl wirkte die zentnerweise auf der Leinwand verteilte Ölfarbe noch wie ein bewegtes Meer. Als wären die Gemälde das Ergebnis einer brachialen Farborgie, die man der zierlichen Neuseeländerin mit Wohnsitz in Berlin kaum zugetraut hätte. Sah man genauer hin, konnte man dann auch erahnen, dass hier kein mit Farbe um sich schleudernder Berserker am Werke war, sondern eine empfindsame und überlegte Farbkomponistin, der es nicht um kakophonische Kraftmeierei ging, sondern um Wohlklang. Etwas hinter der bunten Farblava sorgte für eine subtil austarierte Ordnung im amorphen Bildgeschehen.

Jetzt wird diese den Farbrausch bestimmende Struktur klarer erkennbar. In den neuesten Arbeiten Dwyers (kleinere Formate ab 2700, größere bis 20 500 Mark) haben sich die in unzähligen Schichten übereinanderlagernden Farblagen von einst in einem orthogonalen Raster organisiert. Zwar liegt die Farbe noch immer zentimeterdick auf der Leinwand, noch immer werden über Monate hinweg Schicht um Schicht mit Pinsel und Messerrücken auf der Leinwand verteilt, und noch immer wimmelt und brodelt es in der Mikrostruktur der sich durchdringenden Farben. Aber die Organisation der Bildform lässt sich nun deutlicher erkennen: Die mitunter bis zu vier Metern breiten Formate sind aufgebaut wie eine gemauerte Ziegelwand, Rechteck stößt an Rechteck, ein Farbfeld schichtet sich auf und über das andere.

Natürlich gehorchten Dwyers frühere Bilder mit ihren Farbflecken ebenso einem vorher bestimmten Ordnungsprinzip. Doch diesmal machen die klar unterschiedenen horizontalen und vertikalen Differenzen der Farbflächen die Ordnung sichtbar. "Ich mache keine informelle Malerei", betont Dwyer. Es geht nicht um den Versuch, die eigene Existenz in gestischem Ausdruck festzuhalten. Vielmehr thematisiert Dwyer das Verhältnis von Form und Rausch. Im Widerspiel zwischen dem Dionysischen und dem Apollinischen, wie Nietzsche diese beiden Grundprinzipien der Kunstproduktion bezeichnete, hält die formbildende Regel die Gewalt der rauschhaften Schöpfung in Schach. Es ist ein immerwährender Kampf, der nur in der dialektischen Synthese der beiden Antagonismen gewonnen werden kann. Dann ist das Bild vollendet. "Der Malakt ist anstrengend", gibt Dwyer zu, "aber ich will, dass es leicht aussieht." Tatsächlich dauert der Produktionsprozess auch deshalb so lange, weil die Elemente des Bildes, Form und Farbe, zigmal verschoben werden, bis sie ins Lot gebracht werden: Jedes kleine Orange an einer Stelle des Bildes braucht sein Gegengewicht in einem Blau oder einem Rot an anderem Ort, je nach der inneren Logik des Bildes. Dwyers erklärt ihre Arbeit selbst erstaunlicherweise in Analogie zum Boxsport. Hier wie da geht es um die Kombination von Trieb und Regeln, nur dann erreicht man sein Ziel.

Das Prinzip gilt ebenso für Dwyers jüngste Schöpfungen: Großformatige Schriftbilder (8800 Mark) aus durchscheinendem Reispapier, das mit schwarzer Kohle beschrieben wurde. Die Zitate stammen aus Zeitungen oder Gedichten, es sind Satzbruchstücke und einzelne Worte, die sich nach langem Kampf um die gelungene Form zu einem harmonischen Ganzen arrangieren, auch wenn Wörter wie "Stirn", "Schulter" oder "Herz" durchaus nicht anatomisch korrekt lokalisierbar sind. Im Bild ist ihre Position Ergebnis der Position aller anderen vorhandenen Elemente, damit die Struktur des Ganzen funktioniert. Man könnte Dwyers Bilder also angewandten Strukturalismus nennen: Es ist die Organisation der Zeichen im Raum aufgrund von vorherbestimmten Verknüpfungsregeln - die Kristallisation frei flottierender Moleküle zu einem Körper.

Ronald Berg

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