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Kultur: Konzentrierte Spaßenergie

Eine Nation will von einer Band verarztet werden.Alle, wirklich alle haben sie in ihr Herz geschlossen - das bunte Blättchen "Max" ließ sie sich auf dem Titel ausziehen, für die Boulevardzeitung BZ sind sie die "cleverste Band der Welt", und auch die Berliner Stadtmagazin "Tip" bringt sie ganz vorne ("Ballerman goes Pop").

Eine Nation will von einer Band verarztet werden.Alle, wirklich alle haben sie in ihr Herz geschlossen - das bunte Blättchen "Max" ließ sie sich auf dem Titel ausziehen, für die Boulevardzeitung BZ sind sie die "cleverste Band der Welt", und auch die Berliner Stadtmagazin "Tip" bringt sie ganz vorne ("Ballerman goes Pop").Die Teenies lieben sie für die schlüpfrigen Texte, die Behörden, weil sie ab und zu eine Platte verbieten können, die etwas älteren Semester weil ihre Punkwurzeln stimuliert werden und die Lieder so schön undeutsch-albern sind.Gemeint sind "Die Ärzte", die am Sonntag und Montag gleich zweimal die Parkbühne in der Wuhlheide füllten, und mit über 10 000 Zuschauern pro Konzert ihren Siegeszug im deutschen Pop-Business zelebrierten.

Ja, so stellt man sich das vor, ein gelungenes Comeback.Schien die Band vor neun Jahren sowohl künstlerisch als auch finanziell am Ende, ging es seit der Wiedervereinigung, spätestens aber mit der LP "Planet Punk" von 1995, steil nach oben - ganz nach oben: Die aktuelle LP "13" sitzt sicher auf Platz eins mit Platin Status, die Single "Männer sind Schweine" heimste gleich doppeltes Platin ein.Nun waren Gittarist Farin Urlaub, Drummer Bela B.und der 1993 dazugestoßene Bassist Rod Gonzalez schon immer eine verdammt gute Live-Band, um nicht zu sagen ein Erlebnis an konzentrierter Spaßenergie, stundenlangem Pogo und übrigens auch (rein handwerklich gesehen) guten Musikern.Das war allerdings vor den großen Arenen, und eine solche Erfolgssträhne im Rücken kann in zwei Richtungen losgehen: Der Druck und die Hallen werden zu groß, die Distanz zum Fan noch größer - oder aber es spielt sich besonders beschwingt und selbstbewußt auf.

Das Trio wählte die letztere Variante, und bestimmte mit "Mitten in die Fresse" gleich das Tempo des Abends.Was für eine Wohltat! Kein Grönemeyer, kein Westernhagen, und was gut ist, setzt sich trotzdem durch: Der Familienvater schüttelt sein Haupthaar genauso zu "Madonnas Dickdarm", wie das Girlie und der Punk, und doch wird es nicht peinlich."Ganz abgesehen davon, daß wir natürlich ständig politische Mißstände anprangern, singen wir auch gerne mal darüber, wie zwei Menschen ficken." Ja! Sie haben es gesagt, das Wort, und sie werden es an diesem Abend noch etwa zwanzigmal zum Besten geben.Keine große Leistung, nur - in welcher Halle mit mehr als 500 Leuten kriegt man eine solch erfrischende Direktheit serviert?

Über zwei Stunden lang "Mädchen", "Wie am ersten Tag", "Ich weiß nicht, ob es Liebe ist" oder der "lustige Astronaut" - das ist verdammt leichte Kost, schnell gespielt und auch schnell wieder verdaut.Aber schon ein einziger Moment rückt das Konzert in ein anderes, wertvolleres Licht.Wenn nämlich die komplette, 10 000-stimmige Wuhlheide beim besten und letzten Stück einen Nazi gemeinsam als das bezeichnet, was er ist: "Ohohoh - Arschloch".

TOBIAS RIEGEL

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