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Konzeptkünstler Michael Wesely stellt in Berlin aus: Im Licht der Langsamkeit

Monat der Fotografie: Der Berliner Konzeptkünstler Michael Wesely stellt seine Arbeiten an zwei Orten aus.

Michael Wesely nimmt sich Zeit zum Fotografieren. Oder besser: Er misst dabei die Zeit an den Spuren, die sie hinterlässt. Begonnen hat es 1990, als er Porträts mit der altertümlichen Lochbildkamera anfertigte und dabei die Kopfbewegungen der Personen mit kalkulierte. Wenig später ließ er das Objektiv einer Plattenkamera über zwei Jahre auf einer Baustelle am Potsdamer Platz ruhen, von Anfang bis Ende der Arbeit am Daimler-Chrysler-Haus. Ein anderes Langzeitprojekt galt dem Umbau des Museum of Modern Art in New York. Da atmet man schon auf, wenn es bei der Serie „Another Pencil of Nature – Part 2“ bei sechs Minuten für jede großformatige Arbeit bleibt. Sechs von ihnen, mit einer Ausnahme alle Unikate, sind gegenwärtig in den Räumen der Alfred-Ehrhardt-Stiftung zu sehen – und dort gehören sie auch unbedingt hin.

Denn es sind, wieder mit einer Ausnahme, Naturbilder. Stillleben, könnte man sagen, würde Wesely nur einen fixen Moment festhalten, statt die fortwährende Bewegung von Gras, Laub, Schnee und Wasser zumindest anzudeuten. „Alles fließt“, sagt Heraklit und sagt nun mit ihm auch der 1963 in München geborene Fotograf. Es fließt oder wogt nicht nur vieles im Wind, es explodiert auch in der Luft wie beim Silvesterfeuerwerk, das Wesely von seinem Standort in der Neuköllner Reuterstraße aus festhielt: Dutzende Leuchtspuren geben die Fassade eines Wohnhauses in kalkulierter Unschärfe frei. Die Brennspuren des Freudentaumels steigen wie Träume auf und zerplatzen in der Luft.

Wesely kostet mit seiner Kamera die Stille aus

Ein anderes, stilleres Symbolbild erstand ihm im November 2011 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin in Gestalt eines fahlgrünen Zweiges, der vor einem diffus grauen Hintergrund in die Luft ragt. Gleich mehrere Arbeiten gehen auf einen Aufenthalt im südbrandenburgischen Groß Leuthen zurück. Schnee lastet schwer auf den Ästen eines Baumes. Weselys Kamera kostet hier die Stille aus wie ein Geschenk und schafft kleine Gleichnisse vom Werden und Vergehen. Bewusst greift der Wahlberliner dabei ins 19. Jahrhundert zurück, als die Plattenkameras lange Belichtungszeiten erforderten. Der Gewinn solcher Mühen ist groß, arbeitet sich Wesely damit an die zeitgenössische Malerei heran, die – wie bei Gerhard Richter – das Gegenständliche zwar auflösen, aber nicht aufgeben will. „Time Works“ hieß eine Serie Weselys von 2010. Der Titel könnte vermutlich über allen seinen Arbeiten stehen, von denen einige bereits im New Yorker Museum of Modern Art hängen. Die Preise spiegeln diesen Marktwert wider, entsprechen aber auch dem enormen technischen Aufwand für die teils jeden gewohnten Rahmen sprengenden Arbeiten. Drei Meter Länge und fast zwei Meter Höhe misst das größte der unikaten Bilder „Am Großleuthener See“ und kostet 35 000 Euro. In Zehnerauflage steht ein kleineres Bild gleichen Titels mit 5500 Euro im Angebot.

Parallel ist von Wesely im Mies-van-der-Rohe-Haus eine weitere Ausstellung zu sehen, das Ergebnis einer Langzeitbelichtung während des Jubiläumsjahres der Villa Lemke. 1933 zogen Karl und Martha Lemke in das „kleine und bescheidene Wohnhaus“, so lautete der Auftrag des Ehepaares an den Architekten Ludwig Mies van der Rohe. Es sollte sein letzter Wohnhausbau vor der Emigration 1938 in die Vereinigten Staaten sein. Auch der Druckereibesitzer und seine Ehefrau lebten nicht lange in dem Kleinod der klassischen Moderne. 1945 requirierte die Rote Armee das Haus, nutzte es als Garage. Eine wechselvolle Geschichte der Nutzer folgte: Wäschedepot, Hausmeisterwohnung, Küche für die Stasi und seit der Wende Ausstellungshaus.

"The Epic View"

All dies nimmt Wesely in seine Aufnahme, seinen Blick hinein – „The Epic View“ nennt er die Ausstellung deshalb. Ein Jahr lang war auf Augenhöhe des einstigen Bauherrn im Haus eine Kamera installiert, eine zweite an der Außenfassade, um den Innenhof mit Sicht in den Garten und auf den nahen Obersee durch die permanent geöffnete Linse einzufangen. Die Aufnahme hängt nun an jener Wand, wo sich ursprünglich die Kamera befand. Der Betrachter muss sich vom Fenster abwenden, um die Fotografie zu sehen, realer Raum und Bild springen im Kopf hin und her: Innen wird außen, rechts wird links. Dunstig legen sich die Zeitschichten übereinander. Bis auf die Architektur als Konstante scheint alles andere zu entschweben. Der Apfelbaum im Garten ist eine Mischung aus belaubtem Grün und winterlich kargem Geäst.

Wenn das Haus erzählen könnte, es wäre die Geschichte von Verrat, Zweckentfremdung, Wiederentdeckung. Weselys Blick aus dem Esszimmer ins Freie nimmt die gesamte Zeit mit hinein, nicht nur das eine Jahr. Umso heiterer stimmt jenes Bild, das den schmalen Arbeitsplatz von Direktorin Wita Noack und ihrem Kollegen zeigt: eine Tasse auf dem Tisch, das Bild eines Babys an der Wand, auf dem Boden eine Einkaufstüte und wie hingehaucht eine menschliche Silhouette. Leben erfüllt das Haus, nicht nur die Erinnerung an eine bewegende Vergangenheit. Genau diesem sich verschiebenden Punkt zwischen Gegenwart und Geschichte spürt Wesely mit seinen Bildern nach. Es liegt in der Natur der Sache, dass er stets später kommt, ihm die Zeit wegläuft und nur die Kulisse bleibt. Aber was für eine.

Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Auguststr. 75, bis 21. 12.; Mies-van-der-Rohe-Haus, Oberseestr. 60, bis 11. 1.2015. Gespräch mit Wesely in der Stiftung am 22. 10. um 19 Uhr.

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