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„Die weißen Flecken meiner Körper-Landschaft“: 1968 kennzeichnete Timm Ulrichs die ihm niemals direkt sichtbaren Bereiche seines Körpers.

© Timm Ulrichs

Konzeptkünstler Timm Ulrichs: In der Kunstwelt bewundert, vom Kunstmarkt geschasst

Professoren, Studenten und Intellektuelle bewundern ihn. Trotzdem hat Konzeptkünstler Timm Ulrichs es auf dem Kunstmarkt schwer. Ein Erklärungsversuch.

Der Autor ist Kurator der Ausstellung „Ich, Gott & die Welt“ im Haus am Lützowplatz. Die Ausstellung ist über 100 Tage gewachsen. Am Ende steht nun der Katalog, der zur Finissage am Sonntag, den 2. August um 17 Uhr vorgestellt wird.

Timm Ulrichs ist ein Ideenkünstler. Sein Motor ist die Neugier. Wie ein Forscher nähert er sich existenziellen Fragen der Menschheit und der Gesellschaft, erkundet deren Verhältnis zur Welt und zum Universum.

Der Titel der aktuellen, von ihm konzipierten Ausstellung im Haus am Lützowplatz „Ich, Gott & die Welt“ ist, inklusive eines Schusses Ironie, in diesem Sinne zu verstehen. Ulrichs selber sagt: „Geschickterweise, weil es auch keinen anderen Begriff dafür gibt, nenne ich es Kunst.“ Über den Kunstmarkt jubele er seine Dinge der Öffentlichkeit unter, so der Künstler.

Ulrichs’ Werk besitzt kaum einen Wiedererkennungswert. Er führt seine Forschungen immer wieder mit andern Techniken und Medien aus, tummelt sich in diversen Genres, wie Skulptur, konkrete Poesie, Foto-, Video- und Medienkunst und Kunst am Bau.

Das hat zur Folge, dass er keineswegs eine Marke oder ein Branding produziert. Man könnte höchstens von einer wiedererkennbaren Haltung, einem Witz Ulrichs’scher Art sprechen. Mehr aber nicht.

Doppelung oder Abwandlungen bereits realisierter Arbeiten interessieren den Künstler nicht. Die ständige Wiederholung eines Themas wird von ihm als „Strafarbeit“ angesehen und als langweilig ausgeschlossen.

Nicht an Luxus interessiert

„Ein Forscher macht eine Zeichnung oder ein Modell, bringt es zum Patentamt und lässt es anmelden. Daran kann er seinen Erfolg messen. Aber es bedarf nur einer Realisierung, nur eines Modells. Die technische Auswertung, die Multiplizierung können dann andere machen“, sagt Ulrichs. „So wie Edison seine Recherchen in die verschiedensten Richtungen getrieben hat, versuche ich wie ein Forscher etwas herauszufinden. Habe ich das getan, ist das Interesse erloschen. Man Ray sagte: ,Erfinden ist göttlich, Multiplizieren ist menschlich.’“

An Reichtum und Luxus war Ulrichs, der noch nicht einmal eine Couch sein eigen nennt und alle Einkünfte in die Kunst reinvestiert, nie interessiert. Dennoch zeigt auch er Aspekte eines narzisstischen Egos, wie alle Künstlerinnen und Künstler.

„Ich will die Anerkennung genießen. Nicht das Monetäre interessiert mich, sondern die Würdigung. Nenne es Ruhm oder Zuwendung oder Liebe.“

Demokratisches Verständnis von Kunst

Für manche Sammlungen haben hohe Kunstmarktpreise, die Bekanntheit des Urhebers, sein mögliches Startum und Platzierungen auf fragwürdigen Rankings eine wichtige Bedeutung. Die Position im Kunstkanon bedeutet Prestige, das auf die Besitzerin abstrahlen möge.

Die meisten von Ulrichs’ Arbeiten liegen im unteren, allerhöchstens im mittleren Preissegment. Am Verkauf verdient er kaum etwas, da seine Preise die Herstellungskosten nur wenig übersteigen. Viele Multiples und Editionen sind in Peter Fabians Verlag „Artikel Editionen“ für wenig Geld zu bekommen.

Das entspricht Ulrichs Credo, dass Kunst möglichst für jeden erschwinglich sein soll. Bei diesem Ansatz verschwindet natürlich jede Vorstellung von Unikat und Exklusivität.

Auktionshäuser verhalten sich noch konservativ

Nichtsdestotrotz vertreten zwei renommierte Galerien – Wentrup in Berlin und March in Stuttgart – das Werk von Timm Ulrichs. Sie versuchen seine Arbeiten auf dem Kunstmarkt, in Museen und Sammlungen zu platzieren.

Galeristin Brigitte March kritisiert, dass die internationalen Auktionshäuser sich immer noch recht konservativ verhielten und Malerei der Konzeptkunst vorzögen. Dennoch: Ulrichs Neonlettern-Installation „EINE TAUTOLOGIE IST EINE TAUTOLOGIE IST EINE TAUTOLOGIE“ ging an ein wichtiges chinesisches Museum.

Ulrichs sei beim Publikum sehr beliebt und würde gerade von anderen Künstlern, von Intellektuellen, Professoren und Kunststudenten geschätzt, auch in Frankreich, so die Einschätzung der Galerie.

Seine Komplexität ist zu viel für den Kunstmarkt

Auch die Berliner Galeristen Jan und Tina Wentrup halten Timm Ulrichs als Künstler, trotz seiner kunsthistorischen Relevanz, auf dem Markt für völlig unterbewertet. Seine „inhaltliche und formale Komplexität“ sei auf dem Kunstmarkt nicht dienlich. Dennoch gelang es ihnen, kürzlich ein fotografiebasiertes Werk an das Centre Pompidou in Paris zu verkaufen.

Der Künstler Hans-Oiseau Kalkmann schreibt im Katalog zur aktuellen Ausstellung von Ulrichs: „Du verschwindest mit deinem komplexen Œuvre auf dem wuchernden Feld unserer Bild- und Objektkultur in Ermangelung einer wiedererkennbaren Handschrift.“

Und Peter Weibel, Künstler und Direktor des ZKM in Karlsruhe, schreibt in seinem Werkkommentar im selben Katalog, Timm Ulrichs sei „kein Kommerzkünstler, der Ideen anderer kopiert“. Weil er sie großdimensional skaliere, sei er erfolgreich.

1970 brachte Timm Ulrichs seine Skepsis gegenüber dem Kunstmarkt in einem seiner manifestartigen Texte zum Ausdruck: „der ,wahre charakter’ von kunst ist nicht ihr warencharakter. (da die gedanken bekanntlich frei sind, braucht es den berufsartisten nicht mehr zu geben: jeder denke sich selbst seinen teil, sehe selbst, wo ihm der kopf steht, zerbreche sich seinen eigenen kopf; und wer keine gedanken hat, der mache sich welche, statt sie sich machen zu lassen.)“

Matthias Reichelt

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