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Kultur: Konzeptkünstler

Bernhard Schulz zum Beginn der Documenta 11 in Kassel Am heutigen Donnerstag wird der Vorhang vor der neuen – erstmals groß geschriebenen – Documenta gelüftet. Noch nie war die Spannung so groß, noch nie das Vorwissen so gering – will es jedenfalls scheinen.

Bernhard Schulz zum Beginn der Documenta 11 in Kassel

Am heutigen Donnerstag wird der Vorhang vor der neuen – erstmals groß geschriebenen – Documenta gelüftet. Noch nie war die Spannung so groß, noch nie das Vorwissen so gering – will es jedenfalls scheinen. Tatsächlich aber steigt die Spannung noch jedesmal bis zum Zerreißen an, ehe die – meist chaotische – Pressekonferenz und der anschließende Vorbesichtigungsrundgang über tausende von Quadratmetern Ausstellungsfläche hinweg ein erstes Urteil erlauben. Allerdings hat es der Kurator der diesjährigen, nunmehr elften Documenta geschafft, nicht nur mit Informationen zu geizen, sondern mit vorgeschalteten, weltweit abgehaltenen Diskussionsforen zusätzliche Verwirrung zu stiften, so dass diesmal in Kassel echte Premierenstimmung herrscht.

Neugier ja, Euphorie nein: Auf diesen Nenner lässt sich bringen, was die Auguren vorab über die von Okwui Enwezor verantwortete Weltkunstschau geäußert haben. Ja, wenn es denn eine Weltkunstschau zu werden verspräche! Stattdessen, so die Befürchtung, ist das Schwarzbrot soziopolitischer Theorie, das der Kurator einem ratlosen Publikum vorab geboten hat, bereits das Festmenu selbst. Für Kunst hat der in Nigeria geborene, seit über zwei Jahrzehnten allerdings in New York lebende Dichter, Autor und Ausstellungsmacher bislang keine ganz ungetrübte Liebe erkennen lassen. Wo immer er als Kurator tätig war – wie bei der auch in Berlin gezeigten Darstellung der Befreiung Afrikas nach 1945, „The Short Century“ – , hat er Kunst auf ihren dokumentarischen und gesellschaftspolitischen Gehalt hin eingegrenzt, ihr aber nicht als dem „ganz anderen“, als dem Gegenbild einer verwalteten Welt wirklichen Freiraum gewährt.

Das muss sich in Kassel nicht wiederholen, und ein Blick auf die – endlich doch veröffentlichte – Künstlerliste lässt auf überraschende, womöglich beglückende Erlebnisse durchaus hoffen. Künstler lassen sich selten funktionalisieren, und gerade bei der Documenta sind die Beispiele Legion, da die Künstler mit ihren in der Regel eigens für Kassel geschaffenen Werken aus den vorgegebenen Grenzen aus- und zu eigenen Ufern aufgebrochen sind. Angesichts der über die zurückliegenden Jahrzehnte immer weiter fortgeschrittenen Individualisierung der Kunst war es weise, dass sich Enwezor griffigen Konzepten und eingängigen Slogans verweigert hat – das in Kassel vorgeführte Bild der Gegenwartskunst wird sich nachträglich immer noch einer überwölbenden theoretischen Einordnung gefügig machen lassen. Die lässt sich bei Enwezor am ehesten unter dem – gängigen, allzu gängigen – Stichwort „Globalisierung“ ausmachen. Heftig ist der gebürtige Afrikaner gegen die kulturelle Dominanz „des“ Westens zu Felde gezogen – um sich im nächsten Augenblick unter dem Stichwort „hybride Identitäten“ zur Zugehörigkeit zur weltweiten (West-)Kultur zu bekennen. Was derlei aber für das einzelne Kunstwerk bedeutet, mag Kassel zeigen.

Die Zeit der großen konzeptuellen Würfe ist ohnehin vorbei. Was Harald Szeemann vor dreißig Jahren mit seiner legendären „d 5“ und ihrem Motto „Befragung der Realität – Bildwelten heute“ noch gelungen war, lässt sich heute kaum mehr erzwingen: die Kunst der Jetztzeit wie in einem Brennglas zu bündeln. Enwezors Künstlerliste, die junge Talente ebenso einbegreift wie erprobte Größen, lässt sich nach mancherlei Kriterien hin ordnen, ist aber jedenfalls eines nicht: ein gültiges Who’s who der Gegenwartskunst.

Diesen Maßstab für jeweils fünf lange Jahre zu liefern, war einmal der Anspruch der Documenta, oder zumindest wurde sie von ihren Bewunderern und selbst ihren Verächtern so verstanden. Darauf gründet der einzigartige Status der Kasseler Unternehmung, die sich, all’ den weltweit ins Kraut geschossenen Biennalen zum Trotz, unangefochten als maßgebliche Übersicht bewährt hat. Beim letzten Mal, der von der gleichfalls spröden Catherine David zusammengestellten documenta X, überwogen die kritischen Stimmen bei weitem; und doch hat die teils verheerende Kritik dem Nimbus der Documenta nicht wirklich geschadet. Ein halbes Jahrzehnt ist seither vergangen – genügend Zeit, um nach zahllosen, oft lieb- und gedankenlos zusammengeschusterten Übersichten wo auch immer die Neugier auf Kassel erneut zu entfachen. Noch am heutigen Abend wissen die Kunstfreunde mehr.

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