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Konzeptkünstlerin Eva Partum: Kuss der Freiheit

Nackt und radikal: So trat Ewa Partum als Perfomerin auf. Jetzt wird die polnische Konzeptkünstlerin endlich wiederentdeckt.

Zufall kann es nicht sein. Innerhalb weniger Tage eröffnen zwei Ausstellungen großer Künstlerinnen, die Mitte der Siebziger, Anfang der Achtziger nach West-Berlin gezogen waren, angelockt vom Freigeist der Mauerstadt. Beide blieben. Die eine, Dorothy Iannone, Amerikanerin, kam aus dem Westen. Ihr wird mit einer großen Retrospektive in der Berlinischen Galerie gehuldigt. Die andere, Ewa Partum, Polin, kam aus dem Osten. Sie ist nun in der Galerie Fricke mit einer kleinen, feinen Werkschau zu sehen. Beide provozierten mit einer damals unerhörten Freizügigkeit: Iannone malte unbekümmert Akte und alle erdenklichen Liebespositionen, Partum trat in ihren Performances gleich selbst nackt auf – als Akt feministischen Protestes.

Leicht hatten es beide nicht mit ihren radikalen künstlerischen Konzepten in einer Stadt, wo die figurative Malerei der Neuen Wilden gerade ihren Siegeszug antrat. Mit Jahrzehnten Verspätung setzt nun ihre offizielle Anerkennung ein, Iannone erfährt als Achtzigjährige endlich die Weihen eines Museums in Berlin, die Kunstszene feierte die große alte Dame bei ihrer Eröffnung stürmisch. Die zwölf Jahre jüngere Partum muss auf diesen letzten Ritterschlag offensichtlich doch noch warten. Bei ihrer Eröffnung trifft sich eine kleine eingeschworene Gemeinde, Kenner des Werks, die polnische Community, darunter die Künstlerin Renata Kaminska, die es immer noch nicht fassen kann, dass ihre Landsmännin in der gleichen Stadt wie sie lebt. „Sie ist in Polen eine Legende“, erklärt sie enthusiastisch.

Eva Partum hat sich ihre kämpferische Pose bewahrt

Partum nimmt diese Ehrerbietungen gelassen an. Sie genießt das Comeback. Ihre wohl poetischste Aktion, den Boden einer Galerie mit papierenen weißen Buchstaben zu bedecken und dann an den Füßen der Ausstellungsbesucher in der Stadt verteilen zu lassen, hat vor sechs Jahren in der Turbinenhalle der Tate modern in London ein Remake erfahren. 2012 gastierte sie damit auf der Sydney Biennale in Australien. In den letzten Jahren wird die Künstlerin zunehmend von jungen Kuratoren entdeckt. Kunsthistoriker, die über Fluxuskunst im Osten ihre Dissertation schreiben, klopfen bei ihr an.

Dass der Ruhm auf sich warten lassen würde, das ahnte sie schon als junge Künstlerin. Anerkennung gibt es meist erst am Ende einer Karriere, wenn das künstlerische Kapital häufig aufgebraucht ist. Partum ging es deshalb gleich zu Beginn offensiv an: 1972, mit 27 Jahren, macht sie in einer Performance den Alterungsprozess zum Thema, lässt die eine Hälfte ihres Körpers von einer Maskenbildnerin mit Runzeln und Falten versehen. Zwei Jahre später wiederholt sie die Aktion nur mit ihrem Gesicht. Ihr halb natürlich junges, halb künstlich gealtertes Konterfei lässt sie in Warschau plakatieren, darunter die Worte „Mein Problem ist das Problem einer Frau“.

Vierzig Jahre später hängt das Porträt der zweigeteilten Schönheit nun wieder an der Wand, diesmal als kostbares Einzelexemplar inmitten ihrer Ausstellung in der Galerie Fricke. Ewa Partum hat sich ihre kämpferische Pose bewahrt: Selbstbewusst stellt sie sich unter das Plakat, nunmehr eher der älteren Hälfte des Bildnisses zuneigend. Die Genugtuung ist der gestandenen Künstlerin anzusehen, wie sie da den Eröffnungsreden lauscht. Es sprechen ihre Tochter Berenika, Kunsthistorikerin und auf Ausstellungsreisen ihre Assistentin, und die Kuratorin Aneta Szylak. Die beiden haben eine Monografie zu ihrem Werk herausgegeben. Sie erscheint im richtigen Moment, denn die City Gallery of Art in Limerick und das Museum Sztuki in Lodz widmen ihr in diesem Jahr Ausstellungen.

Irgendwann wird auch ein Berliner Museum darauf kommen, denn ähnlich wie Iannone ist Partum auf besondere Art mit der Stadt verbunden. Wolf Vostell holte sie damals als Erster hierher. „Gute Künstler müssen zusammenhalten,“ hatte er ihr erklärt. 1981 kam sie für eine Woche, ihr erster Besuch im Ausland. Durch Mailart hatte sie längst Kontakt mit Künstlern in aller Welt. Damals war die 35-Jährige in Polen eine bekannte Größe. Mit provokanten Aktionen hatte sie sich einen Namen gemacht: legendär die Aufstellung von Verbotsschildern 1971 auf dem Platz der Freiheit im Zentrum von Lodz. Ein mittels Collage montierter Nacktauftritt vor dem Präsidentenpalast brachte ihr Ärger mit den offiziellen Stellen ein. Als ein Jahr später der Ausnahmezustand ausgerufen wird, kommt sie mit der siebenjährigen Berenika wieder und entscheidet sich, zu bleiben. Schnell findet sie Kontakt zur Künstlerszene um Vostell, Michael Wewerka stellt sie aus.

Sie schnitt sich die Haare über dem Plattenteller bis die Drehung stoppte

An die damalige Zeit erinnert sich die Künstlerin mit einer ungeheuren Lebhaftigkeit: „Okay, die Dinge sind so!“ In ihrer kleinen Wohnung unweit des Olivaer Platzes kommt sie bei Käsekuchen und Kaffee in Fahrt, nachdem auch Hund Teddy unter dem Tisch Platz genommen hat. „Als Vostell mir damals Gemälde von sich zeigte, konnte ich es nicht glauben – ein malender Fluxuskünstler!“ Sie selbst hätte niemals den Pinsel zur Hand genommen. Farbe kam nur ins Spiel mithilfe eines Lippenstifts. Mit ihrem rot bemalten Mund drückte sie die einzelnen Buchstaben eines Wortes auf’s Papier, so bei ihrer „Hommage à Solidarnosc“ 1983 in der Wewerka-Galerie. Die Tagesspiegel-Kritik von Thomas Schmidt-Wulffen hat Partum auch gleich zur Hand. „Der verdiente sich damals auch noch als Fischverkäufer Geld“, amüsiert sie sich königlich. In der Rezension ist die Performance „Konzert der Haare“ bereits angekündigt, bei ihrem nächsten Auftritt war die Galerie proppevoll. Die Plattenspieler, die Boxen von damals und ein Haufen Haare sind nun als kostbare Relikte der Aktion in der Galerie Fricke ausgestellt. Nackt wie sie war, hatte sich die Künstlerin zur Musik von Chopin die Haare über dem Plattenteller abgeschnitten, bis sie die Drehungen verhinderten. Mit Abbruch der Musik endete die Performance. Auch um die Künstlerin wurde es stiller. Ein Jahr später trat sie nur mit hochhackigen Schuhen bekleidet vor der Mauer auf, in der linken Hand ein O, in der rechten ein W. Die Fotografien von damals sind heute Kostbarkeiten. Die beiden Galeristinnen Marion und Roswitha Fricke wehrten sich deshalb vehement, als die Künstlerin für ihre Ausstellung Schutt von der Straßenbaustelle vor der Tür für eine neue Arbeit verwenden wollte. Der viele Staub könnte schaden, argumentierten die Schwestern. Auch sie sehen ihre Künstlerin im Museum – und nicht mehr auf der Straße.

Galerie Fricke, Invalidenstr. 114, bis 29. 3.; Di bis Fr 11–18 Uhr, Sa 12–17 Uhr.

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