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Orpheus andersrum. Ulrike Schwab als Euridice und Peaches als Orfeo.

© Joachim Fieguth

KONZERT: Peaches singt Monteverdis „L’Orfeo“ im HAU: Kleinkind in der Trotzphase

Plüsch und Dilettantismus: Peaches darf sich als Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ im HAU versuchen. Der Dirigent Olof Bomann und das Ensemble Kaleidoskop sind ihr zur Seite gestellt.

Also gut, Berlins renommiertestes Enfant terrible, die kanadische Sängerin Peaches, ist jetzt auch schon 45. Und will mal was anderes machen als immer nur ihre Rock-Show aufzuführen, sich in pinke Hotpants quetschen und zum Bumm-Bumm der Groovebox griffige, explizite Slogans raushauen. Verständlich. Dass das Hebbel am Ufer und Noch-Chef Matthias Lilienthal diesem unbedingten Wollen eine Bühne bieten, hat schon eine kleine Tradition. 2010 durfte sie mit „Peaches Christ Superstar“ erst ihren Teenagertraum leben und – überraschend gut – Musical singen. Gleich hinterher kam im selben Jahr die großartige Selbstfeier „Peaches does herself“, in der sie neben ihren Electroclash-Hits vor allem sich selbst als vom Glamour und Versprechen der Queer-Kultur in Bann Geschlagene inszenierte.

Jetzt also Teil drei in Sachen Peaches auf neuen Wegen. Diesmal klassisches Musiktheater. Peaches, die laut eigenem Bekunden nicht die geringste Ahnung hat von Oper, Notenlesen und Italienisch, darf sich als Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ versuchen. Das HAU hat sich rührend gekümmert: Man hat mit Dirigent Olof Bomann und dem Ensemble Kaleidoskop Experten für frühe Musik gefunden, die bereit waren, sich auf das Experiment einzulassen. Man hat für die anderen Rollen mehrheitlich sehr überzeugende Sängerinnen und Sänger gecastet sowie für Peaches ein Sprachcoaching und ein halbes Jahr Gesangsunterricht organisiert. Allein: Der ganze Aufwand hat zu erschreckend wenig geführt. Peaches ist leider nicht der Mehrwert dieser Inszenierung, sondern ihr großes Minus.

Nun gut, da ist die eindeutig von ihrem Schaffen inspirierte Regie-Idee, den von Nymphen und Hirten gesungenen Lobpreis der Liebe im 1. Akt als eine lüstern-spielerische Alle-mit-allen-Orgie zu inszenieren. Da hüpfen dann die Sänger in Unterhöschen herum, züngeln, wackeln mit dem Becken und fassen sich begeistert gegenseitig an den Po. Wie Countertenor Armin Gramer dabei in ein knatschenges Kleid und abenteuerlich hohes Fetisch-Schuhwerk schlüpft, ist artistisch, aber in der Aussage auch nicht übermäßig gewagt. Wie es ja auch wirklich nichts Provokantes mehr hat, den Orfeo mit einer Frau zu besetzen – sogar im Fernsehen läuft ja schon Katharina Thalbach als Alter Fritz herum.

Bühnenbild und Regie sind insgesamt von einer erstaunlichen Fantasiearmut gezeichnet. Ein Kreis aus Kieselsteinen, eine Hütte, SM-Fesseln, vom Himmel regnende Styroporblöcke, eine Plüschleier. Das war’s. Eine konsistente ästhetische Setzung sieht anders aus. Ihren Orfeo begreift Peaches als komische Figur. Als Kleinkind in der Trotzphase rüpelt sie sich durch ihre Rolle – stampft mit den Beinen und scheitert im großen Stil an ihren Gesangsparts. Niemand will hier kulturkonservativ fordern, nur klassisch ausgebildete Sänger ans frühbarocke Repertoire zu lassen. Aber irgendein Dreh muss schon drin sein, wenn man einen Orpheus zu ertragen hat, der mit seinem unbeholfenen Sprechgesang schlichtweg eine Karikatur des mythischen Stimmwunders ist. Und diesen Dreh schafft Peaches nicht. Da hilft auch die offenkundige Ironie nicht, mit der man ihr beispielsweise die virtuose Arie „Possente spirto“ erspart, indem man ein modernes, atonales Intermezzo komponiert, das ihre stimmliche Beschränktheit nur noch mehr ausstellt. Auch das ins Programmheftchen gedruckte Manifest „Queer Power Now!“ ist eher Rechtfertigung als Rettung.

Gut ist Peaches nur ein Mal: Als sie im Triumph über die Götter der Unterwelt mit „Sick Bitch“ eine furiose Go-fuck- yourself-Ode rappt. Aber das ist nur eine kurze Erholung, denn wie Orfeo ohne Euridice zurück muss in die Welt, so muss Peaches ohne ihre musikalische Heimat zurück zu Monteverdi. Großes Lob aber für die Instrumentalisten und den Dirigenten, die eine äußerst beschwingte und trotzdem präzise Interpretation ablieferten. Und wer wie die tollen Sänger außer jung, schön und stimmlich souverän auch noch performativ talentiert ist, braucht wirklich keine Performerin in der Mitte, die im Rahmen dieses Formats kaum etwas anzubieten hat.

wieder: 4./5. u. 7.5., 19.30 Uhr

Kirsten Riesselmann

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