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Konzerthausorchester: Aura und Arbeit

Mark Wigglesworth und das Konzerthausorchester.

Nicht alle Konzerte können eigenwillige Themen haben, einen besonderen Anlass und ein blendendes Staraufgebot. Irgendwer muss schließlich das Rückgrat im Konzertwesen stellen und dafür sorgen, dass das Genre aus eigener Kraft besteht, mit substanzstarken Programmen und beispielhafter Darbietung. Am Samstagabend schiebt sich Tief Daisy als Schneeheilige schützend über eine solche Konstellation: Das Konzerthausorchester spielt unter Mark Wigglesworth Stücke von Britten und Schostakowitsch, Paul Watkins übernimmt die Solopartie in William Waltons Konzert für Violoncello. Draußen weht ein kalter Wind, das Haus ist eingeschneit, der Saal nur mäßig gefüllt. Doch so klein die Hörgemeinde ist, so unbekannt Wigglesworth und Watkins noch in Berlin sein mögen – es wird ein faszinierendes Konzert.

Allerdings dauert es ein wenig, bis man sich aufeinander einschwingt. Das mag an den Stücken liegen; Brittens „Sinfonia da Requiem“ aus den ersten Weltkriegsjahren wirkt in der Anlage eher ungerundet, steigert sich im ersten Satz in schreiende Dramatik hinein, passiert im zweiten Satz „Dies irae“ einen leisen Streichergalopp, über den sich die Trompeten mit langen Repetitionen erheben und erreicht im Finale des „Requiem aeternam“ noch einmal einen Höhepunkt, der das Stück im Rückblick als lange vor sich hin gärenden Teig erscheinen lässt, der urplötzlich aufgeht, bis alle Ränder reißen: formal ungewöhnlich, inhaltlich vielleicht eine Anspielung auf die Ereignisse, die die Welt Anfang der 1940er Jahre erschütterten.

Paul Watkins als Solist im Cellokonzert schürt das Interesse weiter, mit seiner zurückhaltenden, dennoch bezwingenden Musikalität, einem Ton wie aus Kupfer, kühl und ohne Streicherseligkeit. Spätestens mit dem virtuosen Mittelsatz des Cellokonzertes läuft der Abend in seine Zielgerade ein. Denn vor allem mit Schostakowitschs 10. Symphonie, kurz nach Stalins Tod 1953 komponiert, zeigt sich, wie fest Wigglesworth das Orchester im Griff hat, wie gut er die Mitte zwischen Aura und Arbeit ausschreitet.

Unter seiner Leitung nehmen die Mitglieder des Konzerthausorchesters ihre Instrumente nicht einfach zur Hand: Sie zücken sie. Schon unter die schleichenden Streicherbass-Gänge im ersten Satz legt der englische Dirigent einen scharfen Puls, lässt früh ein gewaltiges Forte entstehen, gibt Ralf Forster (Klarinette) Raum für bestechende Solopassagen, wird später, im Allegretto mit seinem d-es-c-h-Thema (für D. Sch., Dmitri Schostakowitsch), einen ganz anderen, gefälligen Ton anschlagen und das Orchester zuletzt noch einmal an die Grenze des dynamisch und agogisch Machbaren führen. Christiane Tewinkel

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