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Vernunft hat ihre Zeit. Lothar Zagrosek bei der Probe.

© Christian Nielinger

Konzerthausorchester: Der freundliche Herr Zagrosek

Er geht auf eine leise lächelnde Weise, obwohl er doch gerne geblieben wäre. Lothar Zagrosek verabschiedet sich nach fünf Jahren als Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin.

Am Pfingstmontag dirigiert Lothar Zagrosek zum letzten Mal sein Konzerthausorchester in Berlin. Vormittags, mit einer der von ihm erfundenen Mozart-Matineen, mit ausgesucht lieblichen Werken, dem Klavierderwisch Fazil Say an seiner Seite, bei Croissants, Kaffee und Kinderbetreuung. Der Chef verlässt das Pult im Sonnenschein.

Mit Zagrosek zog ein neuer Ton am Gendarmenmarkt ein. Zu seinem Antritt im August 2006 wurde die Akustik des Hauses durch schicke Plexiglassegel über dem Podium hörbar verbessert, das Ensemble verschmolz unverkennbar mit seiner Wirkungsstätte und firmierte fortan als Konzerthausorchester Berlin. Die Musiker schienen aufzuatmen. Auf den Pultautokraten Eliahu Inbal, der versprach, in kurzer Zeit Weltklasseniveau zu erreichen, und doch oft von welk gewordenen Ruhmestaten zehrte, folgte ein bekennender Teamplayer. Der vormalige Stuttgarter Generalmusikdirektor wurde als Mann begrüßt, der Programme gestalten und auch kommunizieren kann.

Eine glühende musikalische Liebe war es nicht, die Zagrosek mit den Berliner Musikern zusammenführte. Im Gegenteil. Das Orchester, nach dem Mauerfall immer wieder als Fusions- oder gar Streichpartie gehandelt, suchte einen Chef, der die Verankerung an das Haus und im Berliner Konkurrenzumfeld vorantreiben kann. Der mit dem damaligen Konzerthaus-Intendanten Frank Schneider harmoniert und von der Kulturpolitik geschätzt wird. Es suchte in Zagrosek mehr die Lebensversicherung als den aufregenden musikalischen Partner.

Der Plan ging auf, und daraus erwuchs Respekt füreinander, Leidenschaft aber nicht. Zagrosek erweiterte das Repertoire seines Orchesters, spielte vorklassische und zeitgenössische Werke. Er holte Artists in Residence (siehe auch „Kurz & Kritisch“, S. 22) an den Gendarmenmarkt, dirigierte Matineen, ersann halb szenische Opernaufführungen und probte mit dem Publikumsorchester. Ein Dirigent, der scheinbar frei von allen Allüren und dankbar sein Haus in der Mitte Berlins zum Klingen bringt.

Während Zagrosek für seine Programmgestaltung ausgezeichnet wird, beginnt es im Orchester zu brodeln. Dort fühlt man sich zu weit entfernt vom klassisch-romantischen Kernrepertoire, das Marek Janowski stilsicher mit seinem Rundfunk-Sinfonieorchester erarbeitet und dafür mit ausverkauften Sälen belohnt wird. So eine unanfechtbare Kapellmeisterautorität hat Zagrosek nicht, das spüren die Musiker bald. Im Publikum wird Murren über Zagroseks Konzertprogramme laut, eine Phase der Anspannung, der trotzigen Selbstbehauptung und der Achtungserfolge bricht am Gendarmenmarkt an.

Einfach den Stab beiseitelegen, das kam für Lothar Zagrosek nicht infrage. Er kämpfte, er warb, er lächelte, auch als die Musiker ihn darum baten, seinen Fünfjahresvertrag nicht zu verlängern. Im Gegenzug wollten sie bis zuletzt für ihn spielen. Sie haben sich daran gehalten und wurden auf ihrer letzten gemeinsamen Tournee in Salzburg mit Mahlers Fünfter bejubelt, von Publikum und Presse.

Zagrosek geht – von Berlin wird er nicht loskommen. Was er dem Kulturleben der Stadt gegeben hat, merkt man nicht zuletzt daran, welches Feld er seinem Nachfolger hinterlässt. Wenn Ivan Fischer 2012 Musikchef am Gendarmenmarkt wird, findet er dort ein verjüngtes Orchester ohne Existenznöte sowie ein offenes Haus vor. Und große Erwartungen. „Mit seinem Budapest Festival Orchestra hat Ivan Fischer bewiesen, dass er ein junges, hochmotiviertes Ensemble in die internationale Spitze führen kann“, formuliert es Orchestervertreter Ernst- Burghard Hilse. An seine Leistungsgrenzen geführt zu werden, das erhofft sich das Konzerthausorchester von seinem neuen Chef. Er wird wohl strenger sein müssen als Lothar Zagrosek.

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