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Konzertkritik: Die Beach Boys: Good Vibrations

Die Zeit schien stehen geblieben an diesem Freitagabend in der O2 World. Die Beach Boys und Brian Wilson beamten das Publikum zurück in die Sechziger - als hätten sie nie aufgehört mit dem Wellenreiten, dem Cabrio-Fahren und dem Daten kalifornischer Mädels.

Wie ein Ufo liegt die O2 World am Berliner Ostbahnhof. Am Freitagabend konnten rund 9000 Besucher, die sich dort versammelt hatten, eine Erfahrung der außerirdischem Art machen. Der Boden der Konzerthalle begann zu beben, das Scheinwerferlicht blitzte und flackerte, ungeheurer, röhrender Lärm ertönte. Splitternd lösten sich Verankerungen. Dann hob das Gebäude ab und verschwand im dunkelblau dämmernden Himmel. Das Ziel der Reise: die sechziger Jahre.

Die Beach Boys beginnen ihr Konzert in der fast ausverkauften Halle mit „Do It Again“, ihrem Hit von 1968. Ein programmatischer Auftakt, der Song ist ein gut gelaunter Aufruf, die Erinnerung schweifen zu lassen und noch einmal zurückzukehren an den Strand, in die Sonne und zu den Mädchen. „Suntanned bodies and / Waves of sunshine / The California girls/ And a beautiful coastline / Warmed up weather / Lets get together and / Do it again.“ Erst steht nur die neunköpfige Begleitband auf der Bühne, gleich zwei Schlagzeuger knüppeln den Rhythmus, der Bass bollert.

Dann erscheinen nacheinander Bruce Johnston, David Marks, Al Jardine und Mike Love, ältere Herren um die 70 in legerem Freizeitlook aus Jeans und hellen Oberhemden und teils mit Baseballkappen. Leadsänger Love und Gitarrist Jardine gehören zu den Gründern der Beach Boys von 1961, Marks und Johnston stießen 1962 und 1965 dazu. Rührend der Moment, als sich Brian Wilson hinter seinen weißen Flügel setzt. Der Songwriter, eines der großen Originalgenies der Popgeschichte, war jahrelang in einem Nebel aus Drogen, Depressionen und Psychopharmaka versunken. Seine Beine stecken in einer bequemen Sporthose, die Bewegungen wirken hölzern. Das Publikum begrüßt ihn mit Standing Ovations.

Die Beach Boys feiern ihr fünfzigjähriges Bestehen mit einer Welttournee, und sie geben den Fans, was sie erwartet haben: Hits, Hits, Hits, über 40 Titel in zweieinhalb Stunden. „Little Honda“, „Surfin’ Safari“, „Surfer Girl“, „Don’t Worry Baby“, „I Get Around“ folgen dicht aufeinander, beinahe wie ein Medley, mitunter mit durchgehender Rhythmusbegleitung. Aber es ist geradezu sensationell, wie sich die Falsettstimmen dieser Senioren immer noch zu betörenden Vokalharmonien vereinen. Mit einem Doo-Wop-Block huldigen sie ihren frühen Idolen wie den Del-Vikings, die bittersüße, querflötenumsäuselte Ballade „Please Let Me Wonder“, bei der Brian Wilson etwas windschief den Leadgesang übernimmt, endet im bejubelten A-cappella-Finale.

Es wirkt natürlich auch grotesk, wenn die Beach Boys immer noch die Träume ihrer Teenagerzeit beschwören, das Wellenreiten, Fahrten im Kabriolett auf einem Ocean Drive, das Herzklopfen beim Ausgehen mit einer Angebeteten. Die Zeit ist eingefroren in diesen Liedern, wir befinden uns in einem ewigen 1965 fröhlich aufgekratzter weißer Mittelstandskids. Das von Al Jardine gesungene „And Then I Kissed Her“, eine Coverversion des Chrystals-Hits, ist eine Kurzgeschichte aus dem Eigenheimidyll amerikanischer Vorstädte. Ein Junge tanzt mit einem Mädchen, bringt sie nach Hause, die Sterne scheinen, er flüstert, dass er sie liebe und hält am Ende um ihre Hand an. „I kissed her in a way that I’d never kissed a girl before / I kissed her in a way that I hope she liked for evermore.“ Vorehelicher Sex? Unvorstellbar.

Leadsänger und Texter Mike Love erweist sich als begnadeter Entertainer. Verschmitzt verkündet er, das nächste Lied stamme „aus dem Jahr 1872“. Und er fragt, wer im Saal jemals ein Auto geliebt habe. Ein BMW oder ein Porsche, fährt er fort, roste kaum, solche Wagen würden nicht in Würde altern, anders als das Gefährt des Baujahrs 1932 aus Detroit, dem die Beach Boys mit ihrer „Ballad Of Ole’ Betsy“ ein Denkmal gesetzt haben.

Das Surferimage der Band ist ein großes Missverständnis. Der einzige Beach Boy, der surfen konnte, war Dennis Wilson, und der ist 1983 ertrunken, das schöne Soloalbum „Pacific Ocean Blue“ hinterlassend. Als Leadgitarrist Carl Wilson 1998 starb, schien die Geschichte der Beach Boys abgeschlossen zu sein. Es gibt einen morbiden Unterstrom in dieser scheinbar so sonnendurchfluteten Geschichte. Ende der sechziger Frage freundete sich der spätere Massenmörder Charles Manson mit Dennis Wilson an, die Beach Boys nahmen einen seiner Songs auf: „Never Learn Not to Love“.

Zu den Schattenseiten gehören auch die Gesundheitsprobleme von Brian Wilson, der 1964 seinen ersten Nervenzusammenbruch hatte und das legendäre Großalbum „Smile“ erst mit knapp vierzigjähriger Verspätung 2004 fertigstellen konnte. Den musikalisch herausragenden Teil des Abends leitet Brian nach der Pause mit der psychedelisch eiernden Jahrmarktshymne „Heroes and Villains“ aus der „Smile“-Platte ein. Es folgen „God Only Knows“, „Wouldn't It Be Nice“ und „Good Vibrations“, drei Popmeisterwerke von klassischer Perfektion. Zwei davon stammen von dem Konzeptalbum „Pet Sounds“, mit dem sich die Beach Boys auf ewig in die Annalen der Musikgeschichte eingetragen haben. Nicht mehr ums Surfen geht es da, sondern um die Liebe. Eine Liebe, heißt es da, dauere vielleicht nicht ewig, „but as long as there are stars above you“. Also ziemlich lang.

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