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Kultur: Kopfrechnen an der E-Gitarre

Kai Müller zählt 7/8- und 9/16-Takte zusammen

Bislang sind Popmusiker als Rechenkünstler nicht sonderlich in Erscheinung getreten. Sicher, sie wissen mit Zahlen umzugehen, wenn es um Geld, prozentuale Anteile oder Druckkosten fürs T-Shirt-Merchandising geht. Aber bei Algorithmen hört es dann auf. Umso obskurer ist deshalb die Karriere eines Begriffs wie „Math-Rock“, der seit wenigen Wochen durch die popkulturellen Debatten geistert. Gemeint ist eine Neuschöpfung des Rock aus dem Geist der Mathematik, wofür seine auffällige Bindung an serielle Rhythmusfiguren, an sich überlagernde Patterns und krumme Metren wie den 7/8-Takt spricht. Die Band Foals aus Oxford steht exemplarisch für diesen Trend. Sie bezieht sich ausdrücklich auf den Minimalismus von Komponist Steve Reich und baut Songs aus komplexen polyrhythmischen Linien auf, statt sie, wie in der Rockmusik üblich, mit verzerrten Sounds in die Breite zu treiben.

Aber damit nicht genug. Kaum, dass die in kleinste Subgenres zergliederte Popkultur ein neues Phänomen bestaunen darf, wächst dem Begriff im virtuellen Klassenzimmer des Wikipedia-Universums blitzschnell eine eigene historischer Legende zu – samt Stammbaum. Und ein fiebriges Suchen setzt ein: Wer kennt die Band, die noch mathematischer ist als Meshuggah aus Schweden? Wo ist das Mathe-Ass an der E-Gitarre, das die Fermat’sche Vermutung spielen kann? Ergeben 7/8 plus 12/16 wirklich 19/4-Takte, und wer bitte schön soll dazu tanzen?

Aber man kann die Aufregung verstehen. Endlich ist ein Begriff gefunden, der das Wesen der Popmusik auf den Punkt bringt – die Kunst der Wiederholung, im Math-Rock ist sie zur Formel geronnen. Das ständige Um-sich-selber-Kreisen, das Loopen und repetierende Verarbeiten von etwas, das es schon gibt, macht wieder Sinn. Die Schönheit eines durchgerechneten Songs ist über Zweifel erhaben.

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