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Kultur: Kopfsprung mit Juchhe

Sibylle Lewitscharoff sitzt auf einem Dach, ihr Held Pong auf einem anderen - damit enden vorerst die Übereinstimmungen.Pong nämlich sitzt auf dem Dach seines Hauses, wo er mit seinem Weibe Evmarie bereits einen ganzen Stamm von Miniatur-Nachkommen ausgbrütete, bevor er "mit schallendem Juchhe dem Mond entgegen" springt.

Sibylle Lewitscharoff sitzt auf einem Dach, ihr Held Pong auf einem anderen - damit enden vorerst die Übereinstimmungen.Pong nämlich sitzt auf dem Dach seines Hauses, wo er mit seinem Weibe Evmarie bereits einen ganzen Stamm von Miniatur-Nachkommen ausgbrütete, bevor er "mit schallendem Juchhe dem Mond entgegen" springt.So endet sein irdisches Dasein - und das Buch, mit dem Sibylle Lewitscharoff im Juni den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann.Ob die Auszeichnung der Autorin auch ein schallendes Juchhe entlockte? Auf den ersten Blick möchte man es ihr nicht zutrauen, denn in ihrer dezent zurückhaltenden Freundlichkeit wirkt sie geradezu gelassen.Der schwäbische Tonfall, dem auch die mehr als zwei Jahrzehnte währende Konfrontation mit der Berliner Schnauze nichts anhaben konnte, mag seinen Teil dazu beitragen.Sie freue sich aber sehr über das Interesse, daß ihr und dem Buch jetzt entgegen gebracht wird, sagt sie bescheiden.Wer sich nur fünf Minuten mit Lewitscharoff unterhält, merkt schnell, daß sie alles andere als ein Pokerface ist.Den Klagenfurter Wettbewerb findet sie "sadistisch".Nicht wegen der Kritiker - was uns aus dem Munde der Preisträgerin nicht wirklich wundert - sondern wegen der Kameras.Beim Lesen selbst störte sie der Fernsehmitschnitt zwar nicht weiter.Daß aber auch bei der anschließenden Diskussion jede Regung im Gesicht des Autors gnadenlos aufgezeichnet wird - das ist für sie sadistisch, "aber wie alles Sadistische sehr interessant".

Das erzählt Lewitscharoff auf einer Charlottenburger Dachterrasse, die zur Werbeagentur ihres Bruders gehört.Seit sie nach Berlin kam, um Religionswissenschaften zu studieren, arbeitet sie dort - als Buchhalterin."Da braucht man nicht weiter nachzudenken".Bei der Lektüre von "Pong" - erschienen im Berlin Verlag - hingegen muß man schon den Kopf anstrengen, die Autorin bezeichnet ihr Werk sogar als "hermetisch".Inhaltlich stimmt das zweifellos, denn alles ist "in Bildern aus einem Kopf heraus erzählt" - dem Kopf eines Verrückten.Pong - so der Name des Roman-Protagonisten - entfernt zahlreiche Gegenstände aus seinem Haushalt, "da unnütze Dinge die Dummheit ausdünsten" und weil er "ein Herr" ist.Von den neunzehn Kaffeelöffeln verscharrt er siebzehn, da sie ohnehin nur dazu gut sind, ihn zu verwirren, "bevor er den einen findet, mit dem der Kaffee umzurühren wäre".Nun würde uns dergleichen kaum in den Sinn kommen, weil wir wissen, daß man nie genug Löffel haben kann.Aber sind deshalb unsere Kriterien, nach denen wir Dinge aufbewahren oder wegwerfen, unbedingt logischer?

Die Sprache des Buches ist lyrisch verspielt, und den Humor, der Beckett nachgesagt wird, finden wir hier auf fast jeder Seite.Lange hat Lewitscharoff Beckett fad gefunden, dann aber den Rhythmus entdeckt - jetzt ist er ein "Liebling".Natürlich ist das Kapitel "In der Pflicht, das Land zu entvölkern" eine Anspielung auf seinen "Dépeupleur", für die Übersetzung als "Verwaiser" könne sie Elmar Tophoven seinen Beinen aus dem Grabe ziehen, um ihm die Füße zu küssen, aber einfacher als Beckett sei "Pong" schon.Stimmt.So wie jedes einzelne Wort in diesem Text stimmt.Wir merken sofort, daß kein einziger Satz einfach nur hingeschrieben wurde, daß noch die kleinste Nuance sorgfältig abgeschattet ist.Dies verlangt Konzentration auch beim Lesen, und Zeit - Zeit, die für Lewitscharoff das Wichtigste beim Schreiben ist.Weiß sie, wie herrlich unprätentiös diese Äußerung klingt? Nein, nicht Genie, Inspiration oder wenigstens Talent nennt sie, sondern die Zeit.

Daß eine ernstzunehmende Autorin etwas zu sagen und ihr Handwerk gelernt hat, versteht sich demnach von selbst.Doch liegt in dieser Betonug des Zeitfaktors weder eine Kritik der Kollegen mit hurtiger Feder noch eine Erklärung des eigenen, späten Debüts.Erst als Vierzigjährige hatte sie ihr erstes Buch herausgebracht, "36 Gerechte", mit wenig Text und Scherenschnitten der Autorin eher ein bibliophiles Kleinod im Quartformat, das 1994 von einer Münsteraner Galerie editiert wurde.Auch "Pong" ist mit 144 locker gesetzten Seiten nicht übermäßig lang.Und wieder hat Lewitscharoff die Illustration auf dem Umschlag selber gezeichnet.

Wer auch nur einige Seiten liest, merkt sofort, daß diese Schriftstellerin ihre Texte immer und immer wieder überarbeitet: "Wenn ich mich hinsetze, um zu schreiben, dann liegt der Text vom Vortag da wie so ein Engerling.Den muß ich dann erst noch mal putzen, bevor ich etwas Neues anfangen kann".Keine Mühe sei ihr dabei zu groß.Viele biologische Nachschlagewerke habe sie gewälzt, um so schöne Tiernamen zu finden wie "Schlangenweih" und "Blauscheitelmotmot" (zwei Vogelarten).Prunkzitate für das Kapitel, in dem die passionierte Zoobesucherin ihren Traum, allen Tieren die Freiheit zu schenken, von Pong in die Tat umsetzen läßt.

Da sie schwach im Rechnen sei, habe sie lange mit dem Taschenrechner hantiert, bis sie rund 2,5 Sekunden auf folgende Formel gebracht hatte: "die Dauer eines Kinderlebens geteilt durch die 144 000 Stirngesiegelten des Johannes, geteilt durch deren Kopfhaar".So lange blickt das Universum Pong an, während es mit ihm spricht.Wenn sich hier oder in andren Passagen des Buches Assoziationen an die Bibel einstellen, ist das kein Zufall.Sie habe, sagt Lewitscharoff, zeigen wollen, was die Bibellektüre im Kopf eines Verrückten bewirkt.Deshalb wird Pong auf dem Dach Stammvater eines neuen Geschlechts, das ihn schnell in die Flucht treibt.Schließlich mußten die alttestamentarischen Könige nach der Machtübernahme das königliche Harem in aller Öffentlichkeit begatten.Vor den Augen ganz Israels tat Absalom dies auf dem Dach des Hauses seines Vaters David, den er zuvor aus Jerusalem vertrieben hatte.

Zum Glück sind die Familienverhältnisse bei den Lewitscharoffs friedlicher, so daß die Arbeit beim Bruder ihr genug Geld zum Leben einbringt und ihr trotzdem Zeit zum Schreiben läßt.Und die Zeit, um auf der Dachterrasse zu erzählen, daß sie immer wieder Aggressionen bei der Bibellektüre bekäme und sie Luthers "furiose Rechthaberei" schon deshalb nicht ertrüge, weil sie selbst dazu neige.Um ihr das zu glauben, muß man sie wohl sehr gut kennen.

Sibylle Lewitscharoff stellt ihren Roman "Pong" am Dienstag um 20 Uhr im Literaturhaus an der Fasanenstraße vor

CAROLIN FISCHER

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