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Kultur: Korea kann sehr kalt sein

Seoul und Busan: Leinwandreisen im PANORAMA.

Strangers in the Night („White Night“ von Leesong Hee-il): Neonlichter, Straßen, Bars, Hotelzimmer. Eine Nacht in der Großstadt, zwei Männer spielen das alte Spiel von Anziehung und Abstoßung. Ihre Aura ist Einsamkeit, das Leiden an der Einsamkeit, die Lust am Leiden an der Einsamkeit. Ihre Kennzeichen: Rollkoffer und Kaugummi beim einen, Motorroller und Zigaretten beim anderen, lange, tiefe Blicke bei beiden. Immer mal wieder sagt einer ahnungsvoll: „Schnee hängt in der Luft“. Die Dialoge bestehen aus null bis zwei Sätzen. Frage: „Wie ist denn dein Name?“ – Antwort: „So etwas habe ich gar nicht.“ Frage: „Was machst du, wenn die Welt untergegangen ist?“ – Antwort: langer Blick ins Leere. Bei der sexuellen wie bei der sprachlichen Annäherung gilt: communicatio interrupta. Nah am Kitsch und mittendrin im weltschmerzlichen Existentialismus. Schließlich beginnt es zu schneien. Das ist kein Zeichen für ein glückliches Ende.

Ein Mann sieht rot. Vier Jahrzehnte nach Charles Bronson tut sich vor allem das koreanische Kino mit Gewaltexzessen hervor, man denke an die Werke von Park Chan-wook oder Kim Ki-duk. In dem Debütfilm „Fatal“ von Lee Don-ku wird ein friedlicher junger Mann durch ein Schockerlebnis zum Rächer, nur hat er sich mit seiner Schüler-Gang einst selbst schuldig gemacht. Zehn Jahre später ist er zerrissen zwischen Gewissensqualen und Erlösungsfantasien. Er schließt sich einer Kirchengruppe an, in der er auch das ehemalige Opfer wiedertrifft. Die junge Frau beichtet als schreckliche Sünde, dass sie damals Selbstmord begehen wollte und jetzt die Täter am liebsten im Höllenfeuer brennen sähe. Daraus zieht der Mann die Konsequenz; die düstere Balance aus romantischem Melodrama, Psycho-Thriller und religiösem Symbolismus kippt um in die Mission zur Selbstjustiz, die bei ihm folgerichtig eine fatale Doppeldeutigkeit gewinnt. Am Schluss schneit es. Korea kann sehr kalt sein.

Aber es kann auch ganz anders; „Hinter der Kamera“ („Behind the Camera“) ist zu 100 Prozent koreanesk und besteht zu 80 Prozent aus Zitaten. Eins reicht bis zu Lenin und Marx zurück und handelt von der Weltgeschichte, deren Tragödie sich als Farce wiederholt. Analog dazu wiederholen sich in der Filmgeschichte Thriller oder Melodramen in einer vorgetäuschten Dokumentation, die alle zum Narren hält. Dafür dreht der Regisseur E, ohne selbst am Set zu erscheinen, allein über Skype und Internet, einen Film über einen Regisseur, der, allein über Skype und Internet, den 10-Minuten-Film „Wie man sich in zehn Minuten verliebt“ dreht. Damit will er den Weltrekord aufstellen, als Erster ein solches Experiment durchgeführt zu haben, und zum Hollywood-Regisseur avancieren, weil er von Los Angeles aus seine Regieanweisungen gibt.

E J-yong – so der vollständige Name des Regisseurs – dreht damit die Spirale seines letzten Films „Yeobaewoodle“ („Schauspielerinnen“) weiter: er kombiniert den Zickenkrieg mit Hahnenkämpfen und übernimmt selbst die Rolle(n) des Regisseurs. Das Studio wird zur Bühne mit stolzen Auftritten und demütigenden Niederlagen, alle schwanken zwischen Begeisterung und Meuterei, jeder versucht aus diesem Kessel von Wettstreit und Eifersüchteleien mit heilem Ego herauszukommen.

Das name dropping reicht von respektvollen Hinweisen auf Hitchcock und Kurosawa über ironische Spitzen zu Park Chan-wook, Boong Joon-ho zu süffisanten Klatschgeschichten von den Dreharbeiten der Filme von Hong Sang-soo („In einem anderen Land“) und Im Sang-soo („The Taste of Money“), die im letzten Jahr in Cannes gelaufen sind. In dieser Revue mit dem „Who’s Who“ des koreanischen Kinos verschwimmen Fakten und Fiktionen, und die tieferen Schichten in all dem Chaos erschließen sich sowieso nur dem einheimischen Publikum. Die übrige Welt mag in dem Schabernack auch noch die Liebeserklärung an das Medium Film erkennen. Helmut Merker

Helmut Merker

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