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Der Meister und sein schmaler Dickschädel. Eine Büste und Portraitfotos,im Augsburger Geburtshaus von Bertolt Brecht..

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Krach um Castorfs "Baal": Opium ist Religion fürs Volk

Im Auftrag der Brecht-Erben versucht der Suhrkamp Verlag Frank Castorfs Münchner Inszenierung des „Baal“.mit juristischen Mitteln abzusetzen. Es kann sich nur um ein gewaltiges Missverständnis handeln.

Es muss in diesen Tagen mühsam sein, für den Berliner Suhrkamp Verlag zu arbeiten. Kaum sind die existenzgefährdenden Konflikte der Gesellschafter entschärft, schon muss der Verlag im Auftrag der Brecht-Erben so tun, als befände er sich, was moderne Ästhetik betrifft, ganz weit hinter dem Mond. Am vergangenen Freitag teilte Suhrkamp dem Münchner Residenz Theater mit, dass der Verlag eine einstweilige Verfügung beantrage werde, um die Absetzung von Frank Castorfs Inszenierung des Brecht- Jugendwerkes „Baal“ zu erzwingen. Zwei Wochen nach der Premiere war Rechteinhabern und Verlag aufgefallen, dass es sich „um eine nicht-autorisierte Bearbeitung des Stückes von Bertolt Brecht“ handle: „Innerhalb der Produktion werden umfänglich Fremdtexte verwendet, die Werkeinheit wird aufgelöst. Dies verletzt das Urheberrecht.“ Suhrkamp ist also mit einer kleinen Verspätung aufgefallen, dass es sich bei der Münchner Castorf-Inszenierung tatsächlich um eine Castorf-Inszenierung handelt. Das ist in der Tat eine schockierende Entdeckung.

Um zu ahnen, dass Castorfs Umgang mit Stücktexten nicht der Verfahrensweise eines Philologen, sonder eher der eines Kannibalen ähnelt, hätte der Besuch einer beliebigen Castorf-Produktion der letzten zwei Jahrzehnte genügt. Auch dass Castorfs Vorstellung von „Werkeinheit“ unter anderem darin besteht, den von einem Werk freigesetzten Assoziationen zu folgen, ist nicht unbedingt eine Neuigkeit. Und der Hinweis auf das Urheberrecht ist gerade bei Brecht amüsant, der sich bekanntlich von Villon bis Gorki großzügig bei anderen Autoren bedient und mit seiner „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ kokettiert hat.

Castorfs „Baal“ mag Brecht-Erben und Verlagsjuristen intellektuell überfordern. Für unvoreingenommene Besucher ist sie von geradezu zwingender Stringenz. Er parallelisiert die narzisstischen Räusche des Extrem-Hedonisten Baal mit den drogenbeschleunigten Revolten der Hippies der sechziger Jahre. Brechts spätexpressionistisches Stück, geschrieben kurz nach dem Ersten Weltkrieg, spielt kurz vor Kriegsausbruch. Es ist ohne die Implosion der alten bürgerlichen Ordnung kaum verständlich.

Castorf überblendet das lässig, aber präzise mit Coppolas delirierendem Vietnam-Film „Apocalypse Now“. Aus Baal, gespielt vom genialisch-verrohten Aurel Manthei, wird ein GI auf LSD, der im Dschungel Hendrix hört. Die Boheme-Posen der Vorlage übersetzt Castorf subkulturell. Er macht aus dem Theater eine Beatnik-Kiffer-Höhle: Opium ist Religion fürs Freak-Volk. Es ist die atmosphärisch dichteste Castorf-Inszenierung seit Jahren – ein Abend wie eine ungesunde Droge, untermalt mit der Musik aus Castorfs Jugend. Auch politisch bleibt der Regisseur alten Hits treu. Zu den Fremdtexten gehört, neben Heiner Müllers unvermeidlichem „Auftrag“, Frantz Fanons antikolonialistisches Manifest mit Sartres gewaltverherrlichendem Vorwort.

Müller wie Fanon erscheinen übrigens bei Suhrkamp. Vielleicht sollte sich die Rechtsabteilung bei Gelegenheit auf den Stand des eigenen Verlagsprogramms bringen – von Foucaults Kritik am Begriff des Autors über Kristevas Wissen, dass in einem Text viele Stimmen sprechen, bis zu Heiner Müllers Hinweis: „Brecht gebrauchen ohne ihn zu kritisieren, ist Verrat.“ Man kann Castorf vieles vorwerfen – nicht aber , dass er Brechts Radikalität durch gedankenfaule Traditionspflege verraten hätte.

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