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Kultur: Krachmachmaschinen

Die wundersamen Klangskulpturen Stephan von Huenes in der Hamburger Kunsthalle

Seit jeher ist die Vorstellung einer Maschine in Menschengestalt faszinierend und furchterregend zugleich. E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ wie auch „Metropolis“ von Fritz Lang erzählen von weiblichen Automaten. Voll Anmut und Verführungskunst tanzen sich hier Olimpia, dort Maria in die Abgründe unserer Phantasien.

Der Künstler Stephan von Huene erreicht mit seinen Werken eine ähnliche Wirkung. Er entführt in eine Welt voll seltsamer Maschinen und Wesen. Steppende Beine, surreale Lederskulpturen oder eine halbierte Dogge gehören zum Inventar dieses Universums der wunderbaren Skurrilitäten. „Tune the World“ nennt sich die Ausstellung, die nun in der Hamburger Kunsthalle einen Überblick über das inspirierende Oeuvre von Huenes gibt. Die Retrospektive, die zunächst gemeinsam mit dem Künstler verwirklicht werden sollte, ist nach dem überraschenden Tod von Huenes im September 2000 zum Nachruf auf einen poetischen Kunsterfinder geworden.

Gleich zu Beginn begegnet man einer frühen, charakteristischen Arbeit, dem „Tap Dancer“ von 1967. Der antiquiert anmutende Tanzautomat zeigt zwei Männerbeine, die steppen. Doch der Rhythmus wird in der Box darunter produziert, die Gliedmaßen müssen sich dem äußeren Diktat fügen. Körperfragmente findet man in vielen Arbeiten des Deutschamerikaners. Im „Kaleidophonic Dog“ ist der vordere Teil einer Dogge in eine Musikmaschine eingespannt: die Beine zucken und das Maul schnappt zu den Klängen. Auf der 1995er Biennale in Venedig zeigte von Huene ein Werk, das auch im Mittelpunkt der Hamburger Schau steht: das Pas de quatre „Dancing on tables“. Auf einer Bühne tanzen und zucken drei Paar Männerbeine zu Ansprachen der Politiker Eisenhower, Johnson und Jackson. Ein viertes, unbekleidetes Paar Beine vollführt zu einer Händel-Arie ungelenke Ballettübungen, während sich politische Texte und Musik zu einem Akkustikbrei vermengen.

Die Beschäftigung mit dem Unvermögen, sich verständlich auszudrücken, zieht sich durch das Gesamtschaffen des Künstlers. „Lexichaos“ von 1990 thematisiert die babylonische Sprachverwirrung. In der Mitte sind drei Türme stilisiert, aus denen die biblische Geschichte zum Turmbau zu Babel parallel auf Deutsch, Altgriechisch und Hebräisch erklingt.

Als Sohn von Emigranten war von Huene früh mit dem Verlust von Heimat und Kultur konfrontiert. 1932 in Los Angeles geboren, nahm er sehr bald das Nebeneinander von Sprache und Lebensgewohnheiten wahr. Während zu Hause Deutsch gesprochen und europäische Traditionen beibehalten wurden, traf das Kind draußen auf eine amerikanische Welt. Vermutlich erklärt sich aus dieser Befindlichkeit von Huenes Umgang mit Wörtern. In vielen Arbeiten benutzt er, der seit 1980 in Hamburg lebte, Satzfragmente, Silben, die aus harten Konsonanten zusammengesetzt sind und absurd anmuten. Aus derartigen Sprach- und Tonfragmenten kann von Huene ganze Kompositionen entstehen lassen: seine poetischen Musikboxen aus orgelartigen Konstruktionen, Xylophonen, Zimbeln und Ziehharmoniken. Zu von Huenes Wunderkammer gehört auch die „Washboard Band“ (1967), die an die Waschbrettmusik schwarzer Sklaven in den Südstaaten erinnert. Und aus sechs Skulpturen formt er gar ein ganzes Orchester.

Der Künstler, der sich nie als Komponist verstand, verwandelt den Raum mit den Mitteln der Kunst und der Musik zur Klangskulptur. Leider – und diese Entscheidung fiel aus Rücksicht auf die fragile Mechanik der Objekte – wird jedes Ausstellungsstück in der Hamburger Kunsthalle bloß stündlich zum Leben erweckt. So kann den Zauber aller Hueneschen Wunderapparate nur erfahren, wer viel Zeit mitbringt oder just zur vollen Stunde diese sehens- und hörenswerte Ausstellung betritt.

Stephan von Huene: Tune the World. Die Retrospektive, bis 24. August in der Hamburger Kunsthalle, Katalog: 24 Euro.

Burcu Dogramaci

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