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Unscheinbares Genie. Der Octopus vulgaris oder Gemeine Krake.

© picture alliance / dpa

Kraken als Gegenstand der Philosophie: Hautfarben im chromatischen Geplapper

Kraken sind die intelligentesten Meeresbewohner. Wie funktioniert ihr Bewusstsein? Und wie verhält es sich zu unserem? Wissenschaftsphilosoph Peter Godfrey-Smith spürt diesen Fragen nach.

Sie sind neugierig, abenteuerlustig und frech. Kraken passen sich schnell an neue Situationen an und haben eine rasche Auffassungsgabe. Laborsituationen jedoch sind ihnen unangenehm. Spüren sie es, beobachtet zu werden, beginnen sie selbst, ihr Gegenüber zu studieren. Sie erkennen Menschen und Situationen sogar wieder. Das geschieht nicht stets zum Vorteil der Forscher. Listig widersetzen sie sich Experimenten und bringen ganze Forschungsvorhaben zum Scheitern, indem sie Versuchslampen ausknipsen, Wissenschaftler attackieren oder einen Versuchsaufbau vernichten.

Die Intelligenz von Kraken bemisst sich nicht an der Fähigkeit, sich besonders sozial zu verhalten, wie es in der Tierpsychologie für viele andere Gattungen behauptet wird. Tatsächlich lassen sich Kraken nur mühevoll auf Reiz-Reaktions-Schemata der klassischen Konditionierung ein. Ihr Trotz veranlasste ungeduldige Forscher in der Vergangenheit oft zu qualvollen Experimenten. Sie setzten Elektroschocks ein, um Nervenströme zu messen, und Sektionen ohne Betäubung: Diese wurden erst vor wenigen Jahren verboten.

Sie nehmen die Welt über ihre Haut wahr

Die erste Begegnung des australischen Wissenschaftsphilosophen Peter Godfrey-Smith mit den flexiblen Schönheiten des Meeres fand nicht im Labor statt, sondern vor der Küste seiner Heimat. Der begeisterte Tiefseetaucher fand besonderen Gefallen am schelmischen Eigensinn der Kraken. In seinem Buch „Der Krake, das Meer und die tiefen Ursprünge des Bewusstseins“ (Matthes & Seitz, 296 S., 28 €.) untersucht Godfrey-Smith aber insbesondere das Verhältnis von Geist und Materie. Seine übergeordnete Frage ist, wie Empfindung, Intelligenz und Bewusstsein im subjektiven Erleben zusammenkommen. Und seine These ist, dass Kraken dafür deshalb von Interesse sind, weil sie ein komplett anders aufgebautes Gehirn als der Mensch haben und zu den klassischen philosophischen Problemen einen relevanten Kontrast schaffen können. Als Materialist vertritt Godfrey-Smith die Position, dass Bewusstsein evolutionär erklärbar ist.

Für ihn bewegt sich der Krake außerhalb der klassischen Aufteilung der Lebewesen in Körper und Bewusstsein. Die Wahrnehmung ihres Selbst ist anders, als Tiere mit einem zentralen Nervensystem sie sonst haben. Als achtarmige Tintenfische, die zu den wirbellosen Weichtieren zählen, fehlt ihnen ein Gerüst, um das sich ein Hauptnervenstrang legen könnte. Das Zentralgehirn sitzt bei Kraken zwar im Kopf, nahe an den Augen, aber ihre Arme sind voller autonomer Nervenzellen, sodass sie vom Gehirn unabhängig agieren können. Nicht nur das ist faszinierend: Durch die chemischen und taktilen Sensoren können sie mittels ihrer Haut auch sehen und reden. Kraken färben sich dunkler, wenn sie auf fremde Körper treffen, können ihren Körper aber mit vielen Farben und sogar den Mustern ihrer Umgebung bespielen. Die Forschung nimmt an, dass ihre Augen nicht dafür gemacht sind, Farben sehen zu können. Das legt nahe, dass ihre Haut selbst die Umgebung wahrnimmt. Die farbenblinden Kraken können ihr Aktionspotential aber auch zentral steuern, sodass es im ganzen Körper integriert vorkommt. Das Farbenspiel ihrer Haut ist dabei oft nicht mehr als der unabsichtliche Ausdruck innerer Prozesse: ein „chromatisches Geplapper“.

Godfrey-Smith will anthropozentrische Sicht überwinden

Indem Kraken die Geschichte der Evolution auf ihre Weise erzählen, fordern sie die anthropozentrische Philosophie des Geistes heraus. Ihre Form von Intelligenz ist unabhängig von der des Menschen entstanden. Auch wenn das Buch durch evolutionstheoretische Argumente immer wieder ins Naturwissenschaftliche kippt, geht es um eine philosophische Aussage über die Stellung des Menschen in der Welt. Er ist, will Godfrey-Smith erklären, eben nur eine Intelligenz unter vielen. Damit macht er sich zum Teil einer diskursiven Neuausrichtung, die davon ausgeht, dass eine Welt ohne den Menschen vorstellbar ist, weil sie schon einmal existiert hat.

Kraken, als intelligenteste Bewohner des Meeres, haben ein Nervensystem, zu dessen Aufbau viel Energie benötigt wird. Dennoch liegt ihre Lebenserwartung nur bei etwa zwei Jahren. Wenn Kraken sterben, desintegrieren sie. Ihre Arme und ihre Haut fallen langsam ab, bis sie nur noch richtungslos im Meer treiben und irgendwann ihr Bewusstsein verlieren. Das veranlasst Godfrey-Smith auch zu Überlegungen über die evolutionäre Notwendigkeit des Alterns. Am Ende steht der Aufruf, die Ozeane zu lieben. Im Kontext des Unterfangens, das philosophische Leib-Seele-Problem evolutionstheoretisch lösen zu können, wirkt das arg missionarisch.

Der Autor nähert sich seinem Thema mit Neugier und Vorsicht. Die Sprache ist einfach, die Sinnzusammenhänge sind überwiegend leicht nachzuvollziehen.„Der Krake“ ist ein liebevolles und unterhaltsames Buch, in dem philosophische Gedanken und romantische Naturerfahrungen immer wieder zusammenspielen. Insgesamt ist es aber nicht ausbalanciert.

Seine Stärke liegt definitiv darin, konträre Positionen der Evolutionsforschung darzustellen. Was fehlt, ist die argumentative Überzeugungskraft, diese auch in einem strengeren Sinn philosophisch fruchtbar zu machen.

Charlotte Szasz

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